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Pressestimmen von Samstag, 23. Juli 2005

zusammengestellt von Bernhard Kuemmerling22. Juli 2005

Neuwahl des Bundestages / Anschläge in London

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Im Mittelpunkt der Kommentare der deutschen Tageszeitungen stehen an diesem Samstag die von Bundespräsident Horst Köhler angesetzte Neuwahl des Bundestages sowie die jüngsten Terror-Anschläge in
London.


Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG aus München meint:


"Für die Union unter ihrer Kanzlerkandidatin Merkel beginnt
vielleicht noch im Juli der Prozess der Ernüchterung. Ihr Höhenflug ist, dies zeigen Umfragen, wenn nicht gestoppt so doch gebremst. Die Konservativen wurden beflügelt von der Erosion der rot-grünen Regierung, die seit der NRW-Wahl in rapiden Zerfall übergegangen war. Nach Köhlers Entscheidung aber gibt es diese Regierung nur noch de jure. De facto stehen sich jetzt die Parteien im Wahlkampf gegenüber. Da reicht es nicht, nur auf die Fehler der anderen zu warten."


Im Kölner EXPRESS heißt es:

"Die Parteistrategen krempeln die Ärmel auf, der Kampf um die besten Rezepte und vor allem den Wähler ist gestern voll entbrannt. Nach den jüngsten Umfragen ist allerdings längst nicht ausgemacht, welche Koalition am Schluss die Nase vorn hat. Noch führt das Duo Merkel/Westerwelle, aber es schwächelt im Augenblick ein wenig in der Gunst der Wähler. Und die Chancen für das Duo Schröder/Fischer? Momentan nur Prinzip Hoffnung. Oder gar Schröder/Fischer mit Lafontaine und Gysi? Das wäre so, als würde der Papst aus der Kirche austreten. Selten war eine Wahl so spannend. Die Kanzlerfrage allerdings scheint geklärt. Bleibt der Deutschland-Trend so wie er ist, führt kein Weg an Merkel vorbei. Wenn nicht mit Schwarz-Gelb, dann in einer Großen Koalition."


NEUES DEUTSCHLAND aus Berlin meint:

"Vielleicht hat Köhler heftig mit sich gerungen. Vielleicht war seine Entscheidung parteipolitisch motiviert, wie ihm hie und da unterstellt wird. Vielleicht aber war sie in der Sache dennoch so falsch nicht. Dass ein Staatsoberhaupt aber seiner Freude über sein Volk Ausdruck verleiht, weil das Unbehagen vieler zeige, wie wichtig den Menschen das Grundgesetz ist - das war der Schmierenkomödie denn
doch zu viel. Da war Köhler plötzlich ein echter Schröder."

In der in Lüneburg erscheinenden LANDESZEITUNG lesen wir:


"Horst Köhlers Rede an die Nation zeugte angesichts der neuen Terroranschläge in London von schlichter Provinzialität. 'Unser Land steht vor gewaltigen Aufgaben. Unsere Zukunft und die unserer Kinder steht auf dem Spiel', formulierte Köhler an dem Tag, an dem viele britische Bürger offenbar nur durch die Verkettung glücklicher Umstände noch am Leben geblieben sind... Gewiss, Deutschland steht, wie Köhler betont, vor großen wirtschaftlichen Herausforderungen. Noch gravierender ist aber die Herausforderung durch selbst ernannte Gotteskrieger. Sie bedrohen die junge Ordnung des alten Kontinents."


Die STUTTGARTER ZEITUNG analysiert:

"In Großbritannien hat eine Diskussion eingesetzt, die für Premier Tony Blair gefährlich werden kann. Blair war ja gerade dabei, mit seinem Engagement für Europa und für die Armen in Afrika sich ein neues Image aufzubauen. Denn es war der britische Regierungschef, der im Irakkrieg nicht ohne Grund als Pudel des US-Präsidenten George W. Bush bezeichnet worden war. Bush und Blair haben sich eifernd gegenseitig in den Krieg hineingetrieben. Daher auch bleibt London mehr als andere Städte gefährdet."

Die KÖLNISCHE RUNDSCHAU meint:

"Die Unmöglichkeit, weitere Selbstmordattentäter zu stoppen, bevor sie ihre Sprengsätze zünden, macht die Wahrscheinlichkeit weiterer Attacken noch größer. Die Bomber sind unter uns - mit dieser Gewissheit müssen die Briten jetzt leben. Während die Terrorgefahr zu einer neuen Solidarität unter Pendlern geführt hat - man blickt sich in die Augen, man spricht miteinander - so steigt doch gleichzeitig das Misstrauen gegenüber offensichtlich muslimisch gekleideten Mitbürgern."


Zum Schluss noch ein Blick in die OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock:

"Leidgeprüftes London. Binnen zwei Wochen hat die weltoffene liberale britische Metropole drei furchtbare Premieren durchlitten: Europas allererste Selbstmordanschläge, die Wiederholung von Attentaten am selben Ort und deren Planung von innen heraus - durch
britische Staatsbürger. Madrid, Istanbul oder New York wurden jeweils einmal heimgesucht; die Killer waren eingeschleuste Ausländer. London ist gewiss nicht mit Israel oder Irak vergleichbar, denen fanatische Selbstmordbomber schon tausendfachen Tod brachten. Umso beeindruckender ist der unaufgeregte, zugleich entschlossene Pragmatismus,
mit dem die Londoner - vom Premier über den Polizisten bis zum U-Bahn-Passagier - nach kurzfristiger Lähmung durch den Terror wieder zur Tagesordnung übergehen."