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Pressestimmen von Samstag, 23. April 2005

Reinhard Kleber22. April 2005

Live-Fernsehübertragung aus dem Visa-Untersuchungsausschuss / Bundestagsberatungen über Massaker an den Armeniern

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Premiere im Parlament: Die Live-Übertragung der Vernehmung des ehemaligen Staatsministers im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer, durch den Visa-Untersuchungsausschuss reizte die Kommentierlust der deutschen Tageszeitungen. Ein weiteres Thema ist die Debatte im Bundestag über das türkische Massaker an den Armeniern im Ersten Weltkrieg.

Zunächst zum Untersuchungsausschuss. Die WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG aus Essen zieht Bilanz:

"Angenehm unspektakulär ist die Premiere in der Parlamentsgeschichte der Bundesrepublik verlaufen, die erste Fernsehübertragung einer Zeugenanhörung aus einem Untersuchungsausschuss. Im Vorfeld hatten Kritiker viele durchaus verständliche Befürchtungen geäußert. Der Ausschuss könne zum seifigen Gerichts-TV geraten, zur Bühne für Selbstdarsteller, zur Polit-Show, in der ein Punktsieg mehr zählt als die Aufklärung mittels Fakten. Aber, das liegt in der Natur eines Experiments, man weiß erst hinterher etwas mehr. Und dieser erste Versuch wirft allenfalls die Frage auf. Warum eigentlich nicht?"

Einige positive Aspekte kann auch die OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock der TV-Übertragung abgewinnen:

"Ob die Sender mehr Action oder die ganz große Enthüllung erwartet haben? Jedenfalls scheint es - ohne Kameras - in einem solchen Ausschuss, wenn die Herren und Damen Abgeordneten unter sich sind, sonst wohl haariger zuzugehen. SPD-Obmann Olaf Scholz zumindest findet, dass die Fernsehübertragung der Arbeit genutzt, sie versachlicht habe. Schön zu wissen, dass es wenigstens etwas gebracht hat! Freilich wäre es nun interessant und wichtig zu erfahren, ob das Reality-TV auch der Wahrheitsfindung gedient hat."

Auf Entwarnung stehen die Signale auch für den Berliner TAGESSPIEGEL. Er schreibt:

"Die Befürchtungen der Kulturpessimisten, dass mentale Eindrücke stär- ker wirken als die sachlichen Argumente, haben sich nicht erfüllt. In Gegenteil. Wenn die gestrige Anhörung überhaupt einen nachhaltigen Hinweis für die Anhörung des Außenministers gegeben hat, dann den auf die ideologische Abrüstung der Visa-Affäre. Die These, dass die falsche Visa-Politik und ihre Folgen Ausdruck grüner Überzeugungs- täterschaft sind, reicht nicht zum Nachweis der Verletzung von Recht oder Amtspflichten. In diesem Punkt war Volmers Auftritt überzeugend."

Eine ganz andere Ansicht vertritt die LANDESZEITUNG aus Lüneburg:

"Polit-Machtkampf als Soap opera: Mit der ersten Fernsehübertragung aus einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss verkommt ein wichtiges Selbstreinigungsinstrument der Demokratie zur Selbstdar- stellerbühne à la Christiansen. Die Omnipräsenz elektronischer Medien höhlt demokratische Institutionen aus. (...) Jetzt fiel dem Streben nach größt- möglichem Spektakel, nur notdürftig mit einem aufklärerischen Feigenblatt versehen, die Bastion des Untersuchungsausschusses zum Opfer."

Zum Schluss wenden wir uns der Bundestagsdebatte über den Massenmord an den Armeniern zu. Der Bonner GENERAL-ANZEIGER meint:

"Am 4. Mai hätte Bundeskanzler Gerhard Schröder in Ankara Gelegenheit, die Meinung des Bundestages zu den Vertreibungen und Massakern an den Armeniern vor 90 Jahren zu vertreten. Es sei denn, er setzt sich wie beim Waffenembargo gegen China abermals über das Parlament hinweg. Gerade weil Schröder für den EU-Beitritt der Türkei wirbt, sollte er den Türken helfen, dieses schreckliche Kapitel ihrer Geschichte nicht länger zu verdrängen. Wer Verbrechen an der Menschlichkeit verharmlost oder gar rechtfertigt, hat keinen Platz in der EU."

Und in der NEUEN WESTFÄLISCHEN aus Bielefeld lesen wir zu diesem Thema:

"Aus Angst und falscher Rücksicht mogeln sich alle Fraktionen an der Verwendung des Begriffes Völkermord vorbei, obwohl alle Definitions- merkmale für Völkermord auf die Verbrechen der Jahre 1915/1916 zutreffen. Vertreibung aber ist eine Verharmlosung und Massaker der falsche Ausdruck. Der Umgang mit historischen Fakten erfordert stets eine klare Sprache. Gerade das Land, das für den größten Genozid der Geschichte, den Holocaust, verantwortlich ist, sollte davor nicht zurückscheuen. Nur der wahrhaftige Umgang mit der eigenen Geschichte ermöglicht einen friedlichen Umgang der Staaten und Völker miteinan- der."