1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Pressestimmen von Samstag, 20. Januar 2007

Walter Lausch19. Januar 2007

Folgen von 'Kyrill' / Außenminister Steinmeier unter Druck

https://p.dw.com/p/9jGo
Der Orkan 'Kyrill' hat eine Schneise der Verwüstung auch in Deutschland hinterlassen. Natürlich ein bevorzugtes Thema für die Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen. Aufgegriffen wird auch die Rolle von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier im Falle des Bremer Türken Murnat Kurnaz, der im US-Gefangenenlager Guantanamo festgehalten wurde. Zunächst aber Stimmen zu 'Kyrill'.

Das OFFENBURGER TAGEBLATT schreibt:

"Wenn sich die Erde erwärmt, kommt das Wetter aus dem Gleichgewicht. Die Politik und lange auch die Meteorologie tat das als Kapriolen der Natur ab. Zu trockener Sommer? Das wird schon wieder. Ein bisschen Sturm? Macht uns doch nichts. Doch das hat seine Niedlichkeit längst verloren. Die Schadensbilanz von Kyrill wird sich, auch wenn Zahlen noch nicht vorliegen, sehen lassen können. Die Rückversicherer mahnen seit langem, dass die Schäden nach Hochwassern, Stürmen und Erdrutschen in Zukunft auch in unserem gemäßigten Breiten zunehmen werden. Wir müssen uns darauf einstellen: Es kommt noch schlimmer."

Damit es nicht ganz so schlimm wird, ruft der WIESBADENER KURIER zum Energiesparen auf:

"Umweltschutz fängt im Kleinen an und hört bei den Treibhausgasemissionen von Industriebetrieben noch lange nicht auf. Also: Auf ins Energiesparzeitalter. Weg mit Stromfressern wie Standby-Schaltungen, überflüssigen elektrischen Haushaltsgeräten und unnötig brennendem Licht. Schluss mit Heizwärme- und sonstiger Energievergeudung."

Die LÜBECKER NACHRICHTEN verteidigen die Maßnahme der Bahn, aufgrund des Orkans den Betrieb am Donnerstagabend bundesweit einzustellen:

"Klar, man könnte jetzt wieder einprügeln auf den Mann, der offenbar mit Vornamen 'Bahnchef' heißt und mit Nachnamen Mehdorn. Man könnte aber auch einmal ein Lob aussprechen für einen riesigen Verkehrsbetrieb, der während eines heftigen Orkans schnell reagierte und die Sicherheit seiner Fahrgäste wichtiger nahm als die Fahrpläne. Denn: Was wäre wohl gesagt worden, wenn die Bahn die seit Tagen bekannten Warnungen ignoriert hätte - und ein Unfall passiert wäre? Was hätten die mauligen, 'gestrandeten' Fahrgäste erst gesagt, wenn sie die halbe Nacht bei Sturm und Dunkelheit auf freier Strecke verbracht hätten, weil Gleise blockiert oder Oberleitungen zerstört sind? Die Bahn hat in der Orkannacht eine Entscheidung gefällt, ist den schwereren Weg gegangen, hat Kritik und organisatorisches Chaos am nächsten Tag in Kauf genommen. Und das war auch gut so."

Für viele Menschen erstaunlich löste 'Kyrill' einen Stahlträger vom neuen Berliner Hauptbahnhof. Anlass für Anmerkungen der BERLINER MORGENPOST:

"Der Glanz des Hauptbahnhofs ist schon nach acht Monaten stumpf geworden. Und Bahnchef Hartmut Mehdorn hat ein Problem mehr. Auch wenn die Züge wieder rollen und die Menschen schnell vergessen, oder vielleicht richtiger verdrängen, bleibt ein mulmiges Gefühl, solange keine Klarheit darüber besteht, warum der gar nicht so starke «Kyrill» eine ganze Seitenfassade fast zum Einsturz gebracht hätte. Dringlicher als alles andere ist also eine erneute bautechnische Sicherheitsprüfung von Grund auf. Denn der nächste Orkan kommt bestimmt. Längst vorbei die Zeit, da alle vom Wetter reden, nur die Bahn nicht."


Bundesaußenminister Steinmeier kommt unter Druck. Nach einem Zeitungsbericht soll er als Kanzleramtschef der rot-grünen Regierung daran mitgewirkt haben, im Jahre 2002 eine Rückkehr des Bremer Türken Kurnaz aus dem US-Gefangenenlager Guantanamo nach Deutschland zu verhindern. Die Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen sind sich auffällig einig. Sollte sich der Vorwurf bestätigen, müsste Steinmeier zurücktreten. So schreibt die STUTTGARTER ZEITUNG:

"Geradezu skandalös wäre es, wenn der Bundesnachrichtendienst im Einvernehmen mit dem Innenministerium und dem Kanzleramt ein förmliches Freilassungsangebot der Amerikaner über Jahre ignoriert hätte. Darauf deutet inzwischen vieles hin. Außenminister Steinmeier saß damals als Chef des Kanzleramts an der entscheidenden Schaltstelle. Er gerät in Erklärungsnöte. Steinmeier trägt im Zweifelsfall die politische Verantwortung. Rücktrittsdebatten kommen äußerst ungelegen zu einer Zeit, da der deutsche Außenminister eigentlich Führungskompetenz auf internationalem Parkett beweisen sollte."

Die Meinung der KIELER NACHRICHTEN:

"Die Vorwürfe haben es in sich. Wenn tatsächlich zu belegen ist, dass die rot-grüne Bundesregierung jahrelang über die Internierung von Murat Kurnaz informiert war und sogar mit gezielten Schritten eine Rückkehr des Deutsch-Türken verhindern wollte, dann sind personelle Konsequenzen unvermeidbar. Mag die juristische Verantwortung Steinmeiers noch umstritten sein, moralisch wird er gewaltig unter Druck geraten. Ein deutscher Außenminister, der in seiner Zeit als Kanzleramtschef und Nachrichtendienstbeauftragter nicht alles getan hat, um einen Unschuldigen aus dem berüchtigten Gefangenenlager in Guantánamo zu befreien, ist nicht zu halten."

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU betont, dass nicht nur Steinmeier Konsequenzen ziehen müsste:

"Fest steht: Unter Angela Merkels Kanzlerschaft durfte der Türke heim. Für die aktuelle Politik ist wichtig: Der frühere BND-Chef Hanning dient Schilys Nachfolger Schäuble als Staatssekretär, Steinmeier ist Außenminister. Können sie im Amt bleiben, wenn sie einen Menschen, gleich welcher Barttracht oder Herkunft, bewusst in einem Knast haben schmoren lassen, den die damalige wie heutige Regierung als Unrechtsinstitution kritisieren? Nein."

Die WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG in Essen ruft noch einmal die besonderen Umstände in Erinnerung:

"Zusätzliche Brisanz erfährt der Skandal, weil er in die Verantwortung einer rot-grünen Regierung fällt, einer Regierung, die beim Volk viel Rückhalt hatte, weil sie sich strikt gegen den Krieg der Amerikaner im Irak stellte und die sich nicht scheute, die unmenschlichen Zustände in Guantanamo anzuprangern. Im Nachhinein wirkt so manche Äußerung mehr als verlogen. Einer der Hauptverantwortlichen für die Affäre ist ganz offensichtlich der heutige Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. Wenn die Vorwürfe stimmen, muss Steinmeier Konsequenzen ziehen."