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Pressestimmen von Samstag, 11. März 2006

Stephan Stickelmann10. März 2006

Wohnungsverkauf in Dresden / Föderalismus-Reform

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Der Verkauf des gesamten Wohnungsbesitzes der Stadt Dresden an einen amerikanischen Investor beschäftigt zahlreiche Zeitungskommentatoren. Beachtung findet zudem die Föderalismus-Reform.

Durchweg skeptisch bewerten die Zeitungen den Coup von Dresden. So heißt es etwa in der TAGESZEITUNG (TAZ) aus Berlin:

"Es ist ein riskanter Ausverkauf. In Dresden hat der US-Immobilienfonds Fortress jetzt für 1,7 Milliarden Euro 48.000 Wohnungen der Stadt erworben. Doch was ist in ein paar Jahren? Irgendwann sind die besseren Wohnungen verkauft; zudem könnten die Kreditzinsen wieder steigen. Dann wird es für die Fonds schwieriger, die angepeilten Gewinne zu erwirtschaften. Sie werden also versuchen, die Mieter auszuquetschen. Zumindest in den Ballungsräumen dürfte dies gelingen."

Noch kritischer ist das Urteil der BERLINER ZEITUNG - Zitat:

"Stolz braucht Dresdens Bürgermeister Roßberg wirklich nicht zu sein. Welche Leistung hat er vollbracht? Er hat seinen öffentlichen Haushalt derart in die Miesen gewirtschaftet, dass er jetzt seinen größten, ja vielleicht seinen einzigen Schatz verkaufen muss, um sich zu retten: Den gesamten Wohnungsbestand der Stadt. Das ist keine Heldentat, das ist eine selbst ausgestellte Unfähigkeitsbescheinigung."

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG schreibt:

"Sicherlich, in Ostdeutschland gibt es preiswerten Wohnraum im Übermaß; und der Dresdner Käufer hat viele soziale Verpflichtungen übernommen - für eine Übergangszeit. Die Stadt hat viel Geld erhalten und zahlt doch einen hohen Preis: Sie wird, was Stadtplanung und -entwicklung angeht, wesentlich weniger gestalten können. Pate bei diesem Geschäft stand die schiere Not. Von den Investoren ist kaum zu erwarten und auch nicht zu verlangen, dass sie Immobilien kaufen, um damit umzugehen, als seien sie das Sozialreferat. Sie wollen, auf lange Sicht, viel Geld verdienen."

Ähnlich ist der Tenor des Kommentars in der RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg:

"Der fette Dresdner Stollen hat eine Kehrseite. Denn die Investoren, die den deutschen Wohnungsmarkt entdeckt haben, wollen Rendite sehen. Ergo: Die Mieten steigen. Städte, in denen kein ausgewogener Wohnungsmarkt besteht, geben auf diese Weise ein wichtiges Steuerungsinstrument aus der Hand. Sie haben nämlich keine unmittelbare Möglichkeit mehr, an der demographischen Schraube zu drehen, indem sie bezahlbaren Wohnraum vor allem für Familien mit Kindern anbieten. Sie verkaufen unter Umständen auch ein Stück ihrer Zukunft."

Die STUTTGARTER NACHRICHTEN schließlich geben folgenden Rat:

"So groß die Verlockung auch ist: Das Beispiel Dresden sollte in Deutschland keine Schule machen. Denn das kurzatmige Stopfen von Haushaltslöchern kommt auf Dauer teuer zu stehen - zumal Tafelsilber nur einmal verkauft werden kann. Wenn die ersten Mieter zahlungsunfähig sind, wird der Aufschrei laut sein. Auf Hilfe von Investoren wie Fortress können sie dann nicht zählen. Auf dem Kapitalmarkt zählt nämlich nur die Rendite - Mitgefühl ist dort oft ein Fremdwort."


Und damit Themenwechsel: Mit ersten Beratungen in Bundestag und Bundesrat ist die Föderalismus-Reform auf den parlamentarischen Weg geschickt worden. Sie soll vor allem die Aufgabenbereiche zwischen Bund und Ländern klarer trennen.

Dazu notiert die ABENDZEITUNG aus München:

"Mit dieser größten Verfassungsänderung seit 1949 wird das Machtgefüge zwischen Bund und Ländern neu geregelt und die Selbstblockade gelockert. Der Preis, den der Bund für das Mehr an Handlungsfähigkeit zahlt, ist freilich hoch: Er darf bei der Bildung nicht mehr mitreden. Er darf nicht für einheitliche Standards sorgen. Er darf nicht mal mehr Geld zahlen für Projekte wie Ganztagesschulen. Dabei hätte Deutschland in der Bildungspolitik alles andere gebraucht als noch mehr Kleinstaaterei. Dass Wettbewerb nicht zwangsläufig Qualität heißt, hat Pisa gezeigt."

Die HEILBRONNER STIMME ergänzt:

"In der Bildung müssen bundesweite Standards garantiert sein, damit keine 'Kleinstaaterei' die Mobilität innerhalb Deutschlands behindert. Vor allem kann nur heilsam sein, wenn die FDP ihre Zustimmung an die Bedingung knüpft, dass endlich auch die Finanzbeziehungen im Staat neu geregelt werden."

Der Kommentator der NÜRNBERGER ZEITUNG gibt allerdings zu bedenken:

"Mit der Pauschaldrohung 'Kleinstaaterei' ist jedes Argument zu erschlagen. Aber ebenso wenig erwies sich in der Vergangenheit Zentralismus als die beste Lösung. Diejenigen haben Recht, die davor warnen, das vereinbarte Reformpaket wieder aufzuschnüren - die Folge wäre wohl die Büchse der Pandora. Eine Möglichkeit, den Bedenken Rechnung zu tragen, wäre es, die Entscheidung mit einem Vorbehalt zu versehen. Dann könnten nach einer gewissen Zeit Sinn und Erfolg überprüft und gegebenenfalls Korrekturen im Detail vorgenommen werden - sollten sich Beschlüsse als kontraproduktiv oder wenig effizient erweisen."

Der GENERAL-ANZEIGER aus Bonn stellt fest:

"In Deutschland ist der Zentralstaat schon zwei Mal gescheitert, im Hitlerreich und in der DDR. Beide hatten den Föderalismus abgeschafft. Seine Verbesserung lohnt also. Deshalb ist es schade, dass die Reform trotz der Mahnung der FDP den Nerv, die Finanzverfassung, bisher verschont hat. Man wird sehen, ob der Erfahrungssatz nicht mehr gelten sollte, dass bisher kein wichtiges Gesetz das Parlament so verlassen hat, wie es eingebracht wurde. Die Reformer können kein Volkskammerverhalten erwarten."

Die in Erfurt erscheinende THÜRINGER ALLGEMEINE zieht folgendes Resümee:

"Aufatmen lässt der Ansatz, dass nicht länger in die meisten Vorhaben des Bundestages der Bundesrat reinreden darf. Denn bei neuen Startversuchen stand immer jemand auf der Bremse. Weniger, um kluge Korrekturen einzubringen, sondern um den politischen Konkurrenten zu zermürben. Die Zugeständnisse der Länder haben aber ihren Preis. Und was deren Regierungen als Vorteil erscheint, dient nicht unbedingt gleichzeitig den Bürgern."