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Pressestimmen von Montag, 9. Januar 2006

Gerhard M Friese8. Januar 2006
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Die Bundesregierung trifft sich an diesem Montag zu ihrer ersten Kabinettsklausur. Grund genug für die deutsche Tagespresse zu einer Vorabbetrachtung. Ein weiteres wichtiges Thema der Kommentatoren deutscher Tageszeitungen ist an diesem Montag die Kritik von Bundeskanzlerin Angela Merkel an dem US-Gefangenenlager Guantánamo.

Der Bonner GENERAL-ANZEIGER schreibt zur Kabinettsklausur:

"Nach einem geglückten Start ins gemeinsame Regieren muss die große Koalition beweisen, dass sie wirklich an einem Strang zieht. Vor allem Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hat in diesen Tagen seine erste Bewährungsprobe zu bestehen. Geschickt hatten Union und SPD im Koalitionsvertrag formuliert, sie strebten einen Dreiklang aus Sanieren, Reformieren und Investieren an. Das war deshalb geschickt, weil sie so noch nicht die Frage beantworten mussten, was am Ende Priorität haben soll. Nun aber wird es ernst."

Im Berliner TAGESSPIEGEL heißt es:

"Kleine Schritte sollen es sein, die die schwarz-rote Regierungsmannschaft heute und morgen in Genshagen konkret beschreiben will. Kleine Schritte, von denen sich Angela Merkels große Koalition allerdings viel Wirkung verspricht. Wie klein der politische Entwurf in Genshagen sein wird, ob er vielleicht am Ende sogar zu klein gerät, um als schwarz-rotes Signal zur Lösung der drängenden Probleme des Landes zu taugen, wird sich erst später im Jahr zeigen.... Dann weiß man, ob von Genshagen ein Signal der Erneuerung oder doch eher die Botschaft 'Weiter so' ausging."

Der WESTFÄLISCHE ANZEIGER aus Hamm verweist auf ein Grundproblem der großen Koalition:

"Sie mögen sich nicht wirklich aber jetzt stehen Union und SPD nun einmal da und müssen gemeinsam die Probleme dieses Landes lösen. Noch können die Parteispitzen den Laden ganz gut zusammenhalten aber noch ist zum Beispiel über die Gesundheitsreform oder die Verteilung der knappen Finanzmittel gar nicht zu Ende gestritten worden. Doch jetzt wird es ernst. In der kuscheligen Schlossatmosphäre wird sich zeigen, ob Union und SPD zur Einigung bereit sind oder ob die 'Vernunft-Ehe' nur auf dem Papier besteht."

Die in Frankfurt an der Oder erscheinende MÄRKISCHE ODERZEITUNG vermutet die Problem eher im Unions-Lager:

"Wenn die mächtigen CDU-Ministerpräsidenten erklären, sie stünden fest hinter Merkel, stellt sich seit den letzten Tagen die Frage, ob das für die Kanzlerin eine positive Position ist: So widersprechen ihr Christian Wulff ungeniert in der Frage des Kombilohnes, Roland Koch un Günther Oettinger bei der Diskussion um die Kernenergie, und wiederum Wulff war es, der ohnehin öffentlich erklärt hatte, das Profil der CDU sei in erster Linie Sache der Landesparteien. Und die Chefin? Es wird ihr viel abverlangt: Wahrung der Stabilität in der großen Koalition bei Profilierung und Befriedung der eigenen Partei. Das ist eine Aufgabe ähnlich der Quadratur des Kreises. Vergnügungssteuerpflichtig ist sie nicht."

Viel Zustimmung erhält die Bundeskanzlerin für ihre Kritik am US-Gefangenenlager Guantánamo:

Die STUTTGARTER ZEITUNG meint:

"Seit ihrem USA-Besuch vor knapp drei Jahren haftete ihr das Image an, allzu amerika-freundlich, ja Bush-hörig aufzutreten. Das war zwar stets eine Verzerrung von Merkels Überzeugungen. Dennoch ist ihre jetzige Kritik an Guantánamo eine Neupositionierung, die sich nicht einmal ihr Vorgänger Gerhard Schröder getraut hatte. Kein Zweifel, Angela Merkel sucht sich in wichtigen Fragen neue Kleider. Derzeit ist sie dabei, diese Kleider in ihrem Schaufenster zu platzieren. Ob sie diese Kleider dann auch wirklich überstreifen wird, muss sich allerdings noch zeigen."

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG aus München ergänzt:

"Angela Merkel hat erstaunlich wenig Zeit gebraucht, um ihren Kandidatinnen-Malus in einen Kanzlerinnen-Bonus zu verwandeln. Erinnert man sich an das selbstgefällige Gestümper aus den Anfangsmonaten von Rot-Grün, so muss man sogar von einem ziemlich geglückten Auftakt der großen Koalition und ihrer Kanzlerin sprechen. Für das gewachsene Selbstbewusstsein Merkels spricht auch ihr Umgang mit Amerika. Einerseits will sie das Verhältnis zu Washington verbessern, andererseits kritisiert sie jetzt das Gefangenenlager in Guantánamo härter, als es Gerhard Schröder je getan hat."

Von einer selbstbewußten Amerikapolitik Merkels spricht auch die NÜRNBERGER ZEITUNG:

"Mit der fast beiläufigen Bemerkung, das Gefangenenlager Guantanamo dürfe auf Dauer so nicht existieren, hat Angela Merkel im Verhältnis zu den USA zwar Pflöcke eingeschlagen, jedoch keine irreparablen Schäden verursacht. Im Gegensatz zu Schröder ließ sie nämlich keinen Zweifel daran, dass sie ungeachtet aller Differenzen in der Sache alles daran setzen wird, die belasteten Beziehungen mit Washington zu verbessern."

Der WIESBADENER KURIER bemerkt:

"Zuhause hat Merkel schon vor dem Besuch bei Präsident Bush auf allen Seiten Punkte gesammelt mit ihren Protest gegen das Lager Guantánamo, den sie im Weißen Haus wiederholen will. Die Kanzlerin hat in der Sache Recht, weil das jahrelange Wegsperren von Gefangenen ohne Anklage, ohne Verfahren und zeitliche Begrenzung unter dubiosen Haftbedingungen eine Schande für jede Demokratie und umso mehr für die größte Demokratie der Welt ist."

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU relativiert den Zuspruch:

"Es ziert die Bundeskanzlerin, die einst versuchte, mit peinlichen Verbeugungen in Washington Punkte in der Konkurrenz mit Schröder zu sammeln, dass sie vor ihrem Besuch bei Bush die Sprache wiederfindet, die es ihrem Vorgänger verschlagen hatte. Das Lob könnte noch nachdrücklicher ausfallen, wenn sie Guantánamo die Existenzberechtigung nicht nur 'auf Dauer' abgesprochen hätte."