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Pressestimmen von Montag, 7. November 2005

zusammengestellt von Susanne Eickenfonder6. November 2005

Eskalierende Gewalt in Frankreich / Koalitionsgespräche

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Angesichts der eskalierenden Lage in Frankreich hat Präsident Chirac mit dem Nationalen Sicherheitsrat über Auswege aus der Krise beraten. Auch die deutsche Tagespresse befasst sich mit den Ausschreitungen, die inzwischen auf das Zentrum von Paris und weitere Städte im Land übergegriffen haben.

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG schreibt:

"Seit einer Woche hört man nun allenthalben die üblichen Thesen, die Unruhestifter bedürften einer Perspektive, beruflich, sozial und menschlich. Wer wollte solche Trivialitäten leugnen? Aber wer soll diese Perspektiven gewähren? Arbeitsplätze werden nicht vom Politiker Sarkozy vergeben, sondern von der Wirtschaft, den Unternehmern."

Die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG aus Halle weist darauf hin:

"Die Jugendlichen sind mit Versprechungen und Besänftigungsversuchen nicht zu stoppen. Solche Worte hören sie seit Jahren. Deshalb richtet sich der brachiale Widerstand auch längst gegen alles, was nach 'Staat' aussieht. Die Lösungen, die nötig sind, können kaum in ein paar politischen Trostpflastern bestehen, weil es um Perspektiven geht. Und ein Staat, der nur darüber nachdenkt, wie hart er gegen die Jugendlichen vorgeht, wird am Ende vielleicht die Flammen löschen, aber nicht das Problem beseitigen können."

In der WESTDEUTSCHEN ZEITUNG aus Düsseldorf lesen wir:

"In Frankreich haben sich die nächtlichen Krawalle zu einem Flächenbrand ausgeweitet. Nun aber schon von einem Bürgerkrieg zu sprechen ist ebenso unverantwortlich wie die Warnung der Türkischen Gemeinde in Deutschland im Verbund mit einigen schwarz-roten Berufs-Besorgten, solche Krawalle seien auch bei uns möglich. Das ist gefährlicher Quatsch. Er könnte Trittbrettfahrer animieren und auf allen Seiten das Blut in Wallungen bringen, wo die ruhige Analyse angesagt ist."

Ähnlich sieht dies die EßLINGER ZEITUNG. Zitat:

" Weit hergeholt sind Warnungen, auch diesseits des Rheins könnte es bald Ausschreitungen nach ähnlichem Muster geben. So wird eher der Ehrgeiz von Möchtegern-Anarchos angestachelt. Die Analysen von Praktikern der Polizei und ihre Forderung nach stärkeren Integrationsbemühungen sollten aber dennoch nicht überhört werden."

Abschließend die STUTTGARTER NACHRICHTEN, die eine ganz andere Position vertreten:

"Gleichwohl gibt es auch bei uns gefährliche Tendenzen, die eine Radikalisierung einzelner Bevölkerungsschichten vorantreiben könnte. Die Schere zwischen Wohlhabenden und Habenichtsen geht immer weiter auseinander. Die Bildungsunterschiede zwischen Ober-, Mittel- und Unterschicht vergrößern sich. Die Integration ausländischer Kinder erweist sich immer schwieriger. Die Politik weiß um diese Probleme, Lösungen hat sie bisher kaum präsentiert. Das könnte sich bald ändern. Denn niemand will, dass sich Szenen wie in Paris künftig auch in Berlin abspielen. Deutschland ist gewarnt."

Themenwechsel. SPD und Union haben am Wochenende ihre Marschroute für die abschließenden Koalitionsverhandlungen festgelegt. Der designierte SPD-Finanzminister Steinbrück bestritt, dass Steuererhöhungen bereits beschlossen seien.

Die ABENDZEITUNG in München ist davon überzeugt, dass es eine so genannte Reichensteuer geben wird und fährt fort:

"Mag sein, dass dieser Schritt vor allem ein symbolischer ist. Aber wenn man betrachtet, was den normalen Bürgern alles zugemutet werden soll, dann ist mehr als recht und billig, auch den Wohlhabenden einen Beitrag abzuverlangen. Denn die meisten Grausamkeiten treffen die einfachen Leute besonders hart. Dabei führen gerade sie brav ihre Steuern ab und können sich eben nicht trickreich die Steuerschuld schönrechnen. Wer aber über 250 000 Euro verdient, der kann 3 Cent pro Euro über dieser Summe verschmerzen, ohne dass es zu Konsumeinbrüchen oder Kapitalflucht kommt."

Ähnlich sieht dies die FRANKFURTER RUNDSCHAU. Zitat:

"Das Signal wäre richtig gesetzt. Union und SPD werden weiten Teilen der Bevölkerung gehörig ans Leder gehen. Eine Reichensteuer würde die Akzeptanz der Einschnitte erhöhen. Jetzt gehts ums Eingemachte, nicht mehr nur um Glaskugeln, sondern um die Perlen der jeweiligen Programmatik. Vor allem um die Frage, welche davon im Laufe dieser entscheidenden Woche vom Verhandlungstisch rollen und welche bis zuletzt liegen bleiben. Erst danach kann man beurteilen, ob eine Reichensteuer, so sie denn kommt, den Preis wert war."

Die AUGSBURGER ALLGEMEINE merkt an:

"Wenn sich politisches Handeln ausschließlich auf das Erhöhen der Steuern beschränkt, wäre dies ein Armutszeugnis ohnegleichen. So ist es ein grundsätzlicher Fehler, dass die höhere Mehrwertsteuer, die so sicher kommen wird wie das Amen in der Kirche, zum bloßen Stopfen der Haushaltslöcher von Bund und Ländern verwendet wird, statt damit, wie es die Union ursprünglich wollte, die viel zu hohen Lohnnebenkosten nach unten zu drücken."

Die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG bilanziert:

"Höhere Mehrwertsteuer, faktische Rentenschrumpfung, Reichensteuer, Abbau der meisten populären Subventionen, für die Wähler wird es ein böses Erwachen. Aber das hat nichts mit ihrem Wahlverhalten zu tun. Jede andere Konstellation hätte mit der gleichen Eröffnungsbilanz beginnen müssen nur mit mehr Skrupel, solche Grausamkeiten zu exekutieren."

Abschließend die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, die die Koalitionsgespräche insgesamt bewertet:

"Es besteht die reale Gefahr, dass am Ende der Koalitions- Verhandlungen ein Kompromiss herauskommt, der das Land gerade so sehr zum Aufbruch ermutigt, wie ein regnerischer Nebeltag zum Picknick animiert. Angela Merkel hat in diesem von ihr nicht gewollten Bündnis nur eine Chance, wenn sie ihre eigene Linie mutig und offensiv vertritt. Damit sich Union und SPD in den nächsten Tagen auf mehr einigen als den kleinsten gemeinsamen Nenner, darf Merkel sich nicht mehr nur auf ihre Methode des Zuwartens verlassen. Sie muss in dieser Woche zur Kanzlerin werden."