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Pressestimmen von Montag, 28. Februar 2005

Christina Pannhausen27. Februar 2005

Fischer zu Visa-Affäre

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Das vorrangige Thema der Kommentare deutscher Tageszeitungen ist an diesem Montag die Selbstkritik von Bundesaußenminister Joschka Fischer in der Visa-Affäre, die er auf dem Landesparteitag der Grünen in Nordrhein-Westfalen geäußert hat.

Dazu schreibt der KÖLNER STADT-ANZEIGER:

"Ein paar rhetorische Taschenspieler-Tricks, der gerührte Dackelblick genügten, damit Parteigranden und Fußvolk seine Finten zur brutalstmöglichen Aufklärung hoch lobten. Dabei lässt er weiter offen, welche Konsequenzen er aus seinen Fehlern zu ziehen gedenkt. Sein Festhalten am Amt ist nämlich ein Survival-Einsatz für die Regierung Schröder. Mit den Idealen der Grünen, die Fischer in Köln beschwor, hat das wenig zu tun. Nur das Machtkalkül verlangt, dass ein Minister bleibt, obwohl er gehen müsste."

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG aus München hält dagegen:

"Fischer hat in der Visa-Frage gefehlt, kein Zweifel. Aber er hat seit 1998 sein Amt vom Kosovo über die Jahre des Terrors und den Irak-Krieg bis hin zur Organisation der Tsunami-Hilfe ganz überwiegend zum Nutzen des Landes ausgefüllt. In Relation dazu ist sein Verhalten in der Visa-Affäre ärgerlich, aber nicht Grund genug für einen Rücktritt."

Der MÜNCHENER MERKUR warnt hingegen:

"Fischers Schuldeingeständnis kommt zu spät, und es ist halbherzig. Lange schweigen, dann alles abstreiten und zuletzt ein bisschen Zerknirschung heucheln - das Politgenie Fischer versucht sich wie ein banaler Hühnerdieb davonzustehlen. Aber das wird misslingen. Weil die Visa-Geschichte mehr ist als eine kleine Panne. Weil sich in ihr zwei Schicksalslinien deutscher Politik kreuzen: Arbeitsmarkt und innere Sicherheit. In Wahrheit hat die Visa-Affäre für Rot-Grün längst die Sprengkraft, die der Parteispendenskandal für die Konservativen hatte."

Die OSTTHÜRINGER ZEITUNG aus Gera hält die Rücktrittsforderungen im Fall Fischer für überzogen:

"Die von ihm geduldete fragwürdige Visa-Praxis muss schon auch ins Verhältnis gesetzt werden zu seiner Gesamtleistung als Außenminister. Nein, dramatisiert werden sollte die Visa-Affäre nicht, aber auch nicht bagatellisiert. Joschka Fischer muss deshalb nicht zurücktreten, hat aber einen Sichtvermerk verdient. Politik hat ja ein langes Gedächtnis. Wenn der Außenminister über die großen Dinge wieder einmal das konkrete Leben vergisst, kann es immer noch heißen: Visum abgelaufen."

Die FULDAER ZEITUNG merkt kritisch an:

"Der «Gottvater» der Grünen hält sich offenbar für so unangreifbar, dass er pauschal Fehler zugeben und im gleichen Atemzug erklären kann, dass ansonsten nichts passiert sei. Zwei falsche Erlasse angeordnet, obendrein trotz fataler Folgen anschließend «nicht schnell, nicht entschlossen und nicht umfassend genug» gehandelt, aber sonst war nichts? Für wie dumm hält Fischer die Öffentlichkeit eigentlich?"

Das Düsseldorfer HANDELSBLATT beschäftigt sich mit den tatsächlichen Auswirkungen der Versäumnisse Fischers:

"Hat es sich um ein administratives Fehlverhalten ohne große Folgen gehandelt, oder ist eine Gefahr für Land und Leben entstanden? Seltsamerweise hat genau an diesem Punkt die Aufklärung noch gar nicht eingesetzt. Sicher stehen die Vorwürfe der Union im Raum, es habe mehr Zwangsprostitution und einen volkswirtschaftlichen Milliardenschaden durch Schwarzarbeit gegeben. Nur belegt sind genau diese letztlich entscheidenden Anschuldigungen nicht. Ein erster Blick auf die Kriminalstatistik jener Jahre zeigt in Deutschland zumindest keinen Anstieg. Und der ukrainische Anteil an der illegalen Beschäftigung dürfte angesichts des Massenphänomens schwarzarbeitender polnischer oder baltischer Haushaltshilfen und Handwerker eher gering sein, denn die brauchen nicht einmal ein Visum."

Die STUTTGARTER ZEITUNG resümiert:

"Im Untersuchungsausschuss müssen nun zwei Dinge geklärt werden: Größenordnung und Reaktionszeiten. Wie groß sind die negativen Auswirkungen tatsächlich gewesen? Und wie schnell hat das Außenministerium, wie schnell hat Fischer auf Warnungen und Hilferufe reagiert? Antworten darauf werden am Ende über Fischers Zukunft und die Wahlchancen von Rot-Grün entscheiden."