1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Pressestimmen von Montag, 19. September 2005

zusammengestellt von Martin Muno18. September 2005

Die Urnen sind geschlossen und alle Fragen offen

https://p.dw.com/p/7Bt9

"Die politischen Verhältnisse in Deutschland sind ins Tanzen gekommen."

Mit diesem an Nietzsche gemahnenden Satz spricht der Kommentator der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG den meisten Leitartiklern aus dem Herzen. Nach der Bundestagswahl herrscht Ratlosigkeit darüber, wer Deutschland künftig regiert. So schreibt die SÜDDEUTSCHE weiter:

"Die Koalitionsbildung wird noch spannender werden als der Wahlkampf: Es ist vieles möglich und wenig ausgeschlossen. Ein Wahlergebnis, das so viele, zum Teil verwegene Koalitionsspiele eröffnet, hat es in der Geschichte der Republik noch nie gegeben. Das ist nicht bedenklich, das ist nur neu. Das Ganze wird wohl schließlich auf eine große Koalition hinauslaufen oder auf eine Ampel, also auf SPD/FDP/Grüne - die für die SPD den Charme hätte, dass Schröder Kanzler bleiben könnte."

Völlig unzufrieden mit dem Wahlausgang zeigt sich dagegen die STUTTGARTER ZEITUNG:

"Diese Wahl hat nicht nur ihre Schockwellen durch die beiden Volksparteien ausgesandt, sondern auch durch die deutsche Wirtschaft. Vom Wählervotum her zeigt es eine blockierte Republik. Die Bevölkerung ist desorientiert, das Land am Rand der Unregierbarkeit. Es ist das Gegenteil eines Votums, das Aufbruch verheißt."

Die NEUE RUHR/NEUE RHEIN-ZEITUNG aus Essen blickt auf das Wahlergebnis der Union:

"Die große Verliererin dieser Wahl heißt Angela Merkel. In der Union wird nun die Diskussion losbrechen, ob sie die richtige Kandidatin war. Ihr Wahlergebnis liegt noch unter dem von Edmund Stoiber, der die Messlatte für Merkel zwischen 42 und 45 Prozent angesiedelt hatte. Gemessen daran, ist ihr Wahlergebnis ein Desaster."

Die Berliner TAGESZEITUNG versucht, die Ursachen des schwachen Ergebnisses zu ergründen:

"Merkels Niederlage hat politische Gründe. Keine emotionalen. Die Kandidatin erweckte den Eindruck, einen Systemwechsel herbeiführen zu wollen. Weg vom rheinischen Kapitalismus, hin zum Nachtwächterstaat und zur Privatisierung der großen Lebensrisiken. Was sie übersah: der rheinische Kapitalismus ist keine sozialistische Erfindung. Offenbar gibt es einen breiten gesellschaftlichen Konsens, das faktisch bestehende Recht des Stärkeren nicht auch noch ideologisch untermauert sehen zu wollen."

Die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg blickt in die andere Richtung und befasst sich mit den politischen Ambitionen von Gerhard Schröder.

"Der Kanzler will sich mit dem halben Wunder seiner Aufholjagd nicht zufrieden geben. Die SPD wird, allen Absagen der FDP zum Trotz, die Liberalen ins Boot zu holen versuchen. Dazu müssen Schröder und Müntefering eine Situation herbeiführen, in der ein Bündnis mit der Union scheitert und wo sich die FDP in die staatspolitische Pflicht genommen sieht. Wir dürfen uns auf Überraschungen gefasst machen."

Mit den diversen Ampel-Koalitionen beschäftigt sich auch die HEILBRONNER STIMME:

"Nun also werden die Schwarzen um die Grünen und die Roten um die Gelben buhlen. Dabei dürften der FDP die Jubelrufe schnell im Halse stecken bleiben: sie hat nur die Wahl zwischen Opposition und Umfaller. Dem klaren Bekenntnis gegen eine Ampel steht der Anspruch entgegen, Deutschland zu reformieren und 'den größten Unsinn der Anderen zu verhindern'. Ist das zweitbeste Ergebnis nicht doch ein Auftrag an die Liberalen, dieses Reformgewicht in eine Regierung einzubringen? Schröder jedenfalls wird alles daran setzen, im Amt zu bleiben - notfalls gar in einer Minderheitsregierung. Merkel hingegen müsste das Kunststück gelingen, die Grünen in eine schwarze Ampel zu locken, die dadurch für die Zukunft eine neue Option gewännen."

Zum Schluß ein Zitat aus der in Essen herausgegebenen WESTDEUTSCHEN ALLGEMEINEN, die auf die Möglichkeit einer Großen Koalition eingeht:

"Für einen Aufbruch Deutschlands steht jedenfalls eine Regierung aus beiden großen Volksparteien nicht. Zu groß sind in der Sache die unterschiedlichen Standpunkte, als dass es möglich wäre, eine Politik aus einem Guss zu formulieren etwa unter der Überschrift: Vorfahrt für Arbeit. Das heißt aber nicht: Rien ne va plus."