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Pressestimmen von Montag, 19. Juni 2006

Hajo Felten18. Juni 2006

Patriotismusdebatte // Solidarpakt

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Die selbstbewusste Freude der Deutschen zur Fußball-WM ist nach Ansicht von Politikern Ausdruck eines neuen und gesunden Patriotismus in der Bundesrepublik. Bundespräsident Köhler sprach gar von einem Zeichen dafür, dass das Land jetzt unverkrampfter auf seine Nationalflagge zeigt und sich mit ihr schmückt. In der deutschen Presse ist diese Debatte eines der zentralen Themen.

Dazu der SCHWARZWÄLDER BOTE aus Oberndorf:

"Was ist uns nicht schon an Patriotismus-Debatten zugemutet worden? Verkopfte und verquere, verkrampfte und unausgegorene, von oben verordnete und bloß Wahlkämpfen geschuldete, vorgestrige und nachmoderne. Und nun soll ausgerechnet eine Fußball-Weltmeisterschaft uns Deutsche geradezu spielerisch mit unserem Nationalgefühl ins Reine bringen? So viel ist schon einmal richtig: Das überstrapazierte Schema, allfällig weinerlicher nationaler Selbstverzweiflung hat sich überlebt. Gut so. Statt dessen führt uns das Sportspektakel prächtig vor Augen, wie sympathisch, wie unbeschwert und wie unverdächtig Patriotismus auftreten kann."

Die Bielefelder NEUE WESTFÄLISCHE mahnt:

"Hüten wir uns allerdings vor Politikern, die angesichts der Partystimmung im Lande über Patriotismus raisonieren. Von diesem Leuten sollten wir uns nicht den Spaß verderben und schon gar nicht für ihre Zwecke vereinnahmen lassen. Auch nicht von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, der uns den Mittelfinger entgegenstreckt und sagt, zum Patriotismus gehöre auch Steuerehrlichkeit. Eine Nummer kleiner bitte, Herr Steinbrück."

Für die WESTDEUTSCHE ZEITUNG aus Düsseldorf sind Patriotismus und Weltoffenheit keine Gegensätze. Hier heißt es:

"Deutschland als Gastgeber der Fußball-WM 2006 ist auf dem besten Weg, diese These von Bundespräsident Horst Köhler auf die denkbar eindrucksvollste Weise zu bestätigen. Die Welt ist tatsächlich zu Gast bei Freunden, die mit den zugereisten Fans ein friedliches Fest feiern und sich dabei nicht scheuen, sich zu ihrem Vaterland zu bekennen. Das Schwarz-Rot-Gold in den Fenstern und an den Autos zeugt von einer Entkrampfung der Nation, die sie sich selbst wohl nicht zugetraut hätte. Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl der Deutschen steigen wieder nach Jahren der Depression. Das allein ist wohl ein Vielfaches mehr wert als jeder messbare Konjunkturschub, den uns die WM beschert."

Die NÜRNBERGER NACHRICHTEN schreiben zur Patriotismusdebatte:

"Die WM überdeckt Unterschiede. Sie stiftet Gemeinschafts-Gefühle, die wohl weniger mit Patriotismus als mit Party zu tun haben. Solche Gefühle fehlen vielen in einer zusehends komplexen, egoistischen Welt. Doch Schluss mit der Theorie: Man darf dieses Fest natürlich einfach feiern. Mit oder ohne Flagge. Fröhlich, heiter, gelassen. Weiter so."

Themenwechsel: Die Forderung der nordrhein-westfälischen Landtags-SPD nach Umleitung von Solidarpakt-Ost-Geldern an arme Kommunen in Westdeutschland hat innerhalb der Partei einen heftigen Streit ausgelöst. Das für den Aufbau Ost zuständige Bundesverkehrsministerium warnte davor, hier arm gegen arm auszuspielen. Die Solidarpakt-Diskussion findet in der Presse ein unterschiedliches Echo.

Der Kölner EXPRESS druckt zu diesem Thema:

"Die Frau hat Mut: Hannelore Kraft, Fraktionschefin der SPD im NRW-Landtag, fordert, dass auch westdeutsche Kommunen, die finanziell mit dem Rücken zur Wand stehen, Hilfen aus den Solidarpakt-Mitteln für den Aufbau Ost erhalten sollen. Natürlich kann es nicht darum gehen, jeden im Osten zweckentfremdeten Euro zurückzufordern. Trotzdem muss die Frage erlaubt sein, warum Städte wie Duisburg Millionenkredite aufnehmen müssen, um Gelder in den Osten zu transferieren, mit denen dann Personal bezahlt wird, das man sich dort sonst nur auf Pump hätte leisten können."

Eine ähnliche Position vertritt auch die OSTTHÜRINGER ZEITUNG aus Gera:

"Ganz unlogisch klingen die Forderungen aus Düsseldorf nicht. Auch im bevölkerungsreichsten Bundesland gibt es arme Schlucker unter den Städten und Gemeinden. Die nehmen, weil selbst bis über beide Ohren verschuldet, sogar Kredite auf, um ihre Verpflichtungen für den Aufbau Ost finanzieren zu können. Ist es den Duisburgern und Dortmundern deshalb zu verdenken, wenn sie Anteile aus dem Solidarpakt verlangen, die in Ostdeutschland entgegen den gesetzlichen Regelungen zweckentfremdet eingesetzt werden?"

Die OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock gibt zu bedenken:

"Städte wie Duisburg oder Gelsenkirchen haben in ihren Etats nicht wegen des Solidarpakts Millionenlöcher, sondern weil sie falsch und nicht zukunftsorientiert gewirtschaftet haben. Die Idee, Gelder aus diesem System abzuziehen und als monetäre Tröpfcheninfektion West- Kommunen zum Stopfen von Haushaltslöchern zu spenden, zeugt von finanzpolitischer Ahnungslosigkeit. So versickern Fördergelder zweckentfremdet ohne intensive Kraft. Aber in dieser Weise argumentieren Sozialdemokraten ja schon länger: Missgunst fördernd und fiskalisch kurzsichtig."

Die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG kommentiert:

"Dass mit Blick auf die Transferleistungen bei manchen West-Bürgermeistern Neid auf die Kollegen im Osten aufkommt, ist verständlich. Daraus aber den Automatismus abzuleiten, falsch verwendete Soli-Mittel wieder einzufordern, ist platte Polemik. Das Transfer-Prinzip ist bis 2019 festgeschrieben, es kann nicht um seine Aushebelung gehen. Höchstens darum, dass einige Länder im Osten ihre Hausaufgaben beim Einsatz der Mittel besser machen müssen. Darauf hinzuweisen ist legitim, egal von welcher Seite."