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Pressestimmen von Montag, 16. Januar 2006

zusammen gestellt von Siegfried Scheithauer15. Januar 2006

Merkels Besuch in Washington // Neuausrichtung der deutschen Sozialdemokratie

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Der Antrittsbesuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Moskau sowie die Neuausrichtung der deutschen Sozialdemokratie bestimmen die Analysen und Kommentare der deutschen Tagespresse an diesem Montag. - Grüne und FDP haben Merkel aufgefordert, in Moskau auch Verstöße gegen Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte anzusprechen. Aufmerksam vergleichen die Leitartikler die Besuche in den USA und Russland:

Die FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND sieht die Kanzlerin in einer souveränen Ausgangslage:

"Merkels Besuch in Washington wurde zum bisherigen Höhepunkt ihrer Selbstfindung als Außenpolitikerin. Doch der unbestreitbare Erfolg auf der neuen Bühne ist der Kanzlerin nur zum Teil selbst anzurechnen, sogar nur zum kleineren. Die CDU-Vorsitzende profitiert als unverbrauchte politische Kraft von Krisen, die sie zur Hoffnungsträgerin machen. Merkels Verdienst ist es, diese Chancen nüchtern genutzt zu haben. Heute beginnt eine delikatere Prüfung: Wie viel Kritik wird sich Merkel an Präsident Putin erlauben?"

Das HANDELSBLATT hegt hohe Erwartungen:

"Außenpolitisch hat Merkel Deutschland Handlungspielraum gesichert. (...) Den ersten Lohn wird Merkel schon heute in Moskau einfahren können. Denn die freundschaftliche Offenheit gegenüber US-Präsident Bush erlaubt ihr auch eine größere Offenheit gegenüber Putin. Gerade weil sie in Washington um Verständnis für den schwierigen, mit westlichen Staaten nicht vergleichbaren Weg Russlands warb, kann sie sich deutlichere Worte zu den Fehlentwicklungen der russischen Politik erlauben."

Die FRANKFURTER NEUE PRESSE will da sauber auseinanderhalten:

"Gegenüber den USA ist Merkel in der komfortablen Position jetzt geschickt Spielräume nutzen zu können, die der Altkanzler Gerhard Schröder mit Brachialgewalt geschaffen hat. Gegenüber Moskau muss sie selbst mit Entschlossenheit, aber diplomatisch, eine Kuschel-Beziehung Schröders beenden."

Auch die TAGESZEITUNG aus Berlin, kurz TAZ, glaubt an einen Neuanfang:

"Dass mit dem Abgang von Schröder auch die deutsch-russische badehauslaunige Männerfreundschaft beendet sein würde, stand außer Zweifel. Doch die Agenda von Merkel für ihren Antrittsbesuch überrascht denn doch: So will die Kanzlerin Vertreter der per Gesetz geknebelten Nichtregierungsorganisationen und Journalisten treffen. Auch der - vergessene - Krieg in Tschetschenien soll aufs Tapet kommen. Genauso wie die Lage in Weißrussland und der Ukraine. Sollte Merkel in Moskau Tacheles reden, wäre das eine wohltuende Abgrenzung vom unsäglichen Anbiederungskurs ihres Vorgängers."

Die NÜRNBERGER NACHRICHTEN sehen den Atomkonflikt mit dem Iran als zentrales Thema:

"Zu den wichtigsten Erkenntnissen der Gespräche im Weißen Haus gehört nun die gemeinsame Einsicht, dass eine diplomatische Entschärfung der Iran-Krise ohne den Kreml kaum erreichbar wäre. Im Atom-Konflikt mit Teheran, der eine ernste Gefahr für den Weltfrieden heraufzubeschwören droht, hoffen Deutschland wie die USA also dringend auf Putins Beistand." - Die SPD und der Vorsitzende Platzeck suchen nach ihrer Rolle in der neuen großen Koalition mit der Union. Auf der Klausurtagung in Mainz forderte die Parteispitze, soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftsdynamik miteinander zu verbinden.

Die STUTTGARTER ZEITUNG beschreibt die neue Ausgangsposition der deutschen Sozialdemokraten:

"Die SPD läuft Gefahr, in den Schatten der Kanzlerin zu driften, die erfolgreicher gestartet ist, als viele es ihr zugetraut hatten. (...) Mit großkoalitionärer Harmonie allein ist keine sozialdemokratische Politik zu machen. Die SPD muss ihr eigenes Profil schärfen, ohne in die Rolle des Störenfrieds in der Regierung zu geraten. Die schwarz-rote Schmusepolitik wird ohnehin bald ein Ende haben."

Die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG hat es so gesehen:

"Wenige Wochen nach dem polternden Blitzabgang eines gewissen Gerhard Schröder, der heute eine Art Mister Unbekannt in der SPD ist, klingt Platzecks Zwischenbilanz unfreiwillig ehrlich. Keine Partei hat derart nachhaltig ihre frühere Regierungsverantwortung getilgt wie die SPD. Respekt!"

Die NEUE WESTFÄLISCHE aus Bielefeld hat eine Art taktischen Befreiungsschlag beobachtet:

"Obwohl die Bundestagswahl gerade vier Monate her ist und der nächste reguläre Urnengang erst in vier Jahren ansteht, ernennt Peter Struck schon jetzt Platzeck zu seinem Kanzlerkandidaten. Warum nur? Der neue SPD-Fraktionsvorsitzende Struck geht in die Offensive, weil sich seine Partei in der Defensive befindet und sich mit Erblasten der rot-grünen Regierung herumschlägt: Mit der BND-Affäre, die neben Hoffnungsträger Steinmeier auch Struck in schlechtem Licht erscheinen lässt. Und auf Schröders Aura als Friedenskanzler fällt Schatten."

Die MÄRKISCHE ODERZEITUNG versucht eine programmatische Einordnung:

"Platzecks Plädoyer für eine 'weltoffene Politik der linken Mitte' kann als Wiederaufgriff der Ideen des 1999 formulierten Schröder-Blair-Papiers gesehen werden. Seine Ideen wirken primär als Abgrenzung gegen die Linken in und außerhalb der SPD. Der Begriff der 'sozialen Gerechtigkeit' ist bei Platzeck untrennbar mit der wirtschaftlichen Dynamik verknüpft. Damit könnte Platzeck 'Sozialnostalgikern', so in der Linkspartei, Räume eröffnen."

Die KIELER NACHRICHTEN bleiben skeptisch:

"Seine Partei müsse 'die Idee der sozialen Demokratie grundlegend erneuern', sagt der nette Herr Platzeck aus Potsdam. Um große Worte war der neue SPD-Vorsitzende auch in der Vergangenheit nicht verlegen. Taten folgten den blumigen Ankündigungen bisher nicht. (...) So einen braucht die SPD im Moment: Einen, den man vorzeigen kann, der die Partei aber nicht auf seinen Kurs zwingt wie einst Schröder. Anders gesagt: Platzeck lässt anderen reichlich Raum sich zu profilieren."