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Pressestimmen von Montag, 14. August 2006

Christoph Schmidt13. August 2006

Waffenruhe-Libanon / Waffen-SS - Grass

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Im Libanon-Konflikt hat die Annahme der UN-Resolution durch Israel und die libanesische Regierung wieder Hoffnungen auf einen Frieden in der Region geweckt. Damit stehen die Entwicklungen im Nahen Osten abermals im Mittelpunkt der Pressekommentare.

Der KÖLNER STADT-ANZEIGER schreibt zur Rolle der Vereinten Nationen: "Der eigentliche Wert der UN-Resolution 1701 liegt - man muss es leider so sagen - darin, dass sie überhaupt zustande kam. Eine Zeit lang stand zu befürchten, dass sich die Weltorganisation als Papiertiger erweist. Ob die Resolution ausreicht, Israels Nordgrenze dauerhaft zu sichern, die Hisbollah-Milizen in Schach zu halten, lässt sich nicht absehen. Doch immerhin ist die Resolution ein Hinweis darauf, dass sich die UN nicht widerstandslos von ihrer vornehmsten Aufgabe verabschiedet haben: der Friedensstiftung."

Die ESSLINGER ZEITUNG befasst sich mit dem vorgesehenen UN-Kontingent, das die Waffenruhe absichern soll: "Wenn die neue Resolution wirklich zum Erfolg führen soll, bedarf es eines robusten UN-Mandats für die Friedenstruppen und internationaler Unterstützung für die libanesische Armee. Sonst dürften sowohl Hisbollah als auch Israel jede noch so kleine Feindseligkeit zum Anlass nehmen, die Kämpfe wieder aufflammen zu lassen. Zudem kann die Resolution, so sie denn zu längerfristiger Waffenruhe führt, nur ein erster kleiner Schritt sein zu einer umfassenden Friedenslösung."

Die Münchner ABENDZEITUNG greift die Diskussion um die deutsche Beteiligung an einer UN-Friedenstruppe auf und meint: "Mit den üblichen Fronten hat die Debatte nichts zu tun. Zu den klaren Gegnern gehören der CSU-Chef und die Linkspartei. Auch im Zentralrat der Juden finden sich ebenso vehemente Befürworter wie Feinde einer Bundeswehrbeteiligung. Bedeutsam ist, dass Israel ausdrücklich um den deutschen Einsatz gebeten hat. Es muss ja nicht die vorderste Front sein - aber mitmachen sollte Deutschland schon. Als Zeichen, wir etwas beitragen wollen zu diesem Hauch von Friedenshoffnung. Gerade wegen der Vergangenheit."

Demgegenüber analysiert der WIESBADENER KURIER: "Der Nahe Osten muss grundsätzlich für die Bundeswehr - ganz abgesehen von der Gefahr einer Überforderung - als Tabuzone gelten. Dass die Jerusalemer Regierung einer deutschen Beteiligung offen gegenüber steht, ist in diesem Zusammenhang kein Argument. Ehud Olmert weiß sehr wohl um die moralische Schießhemmung einer deutschen Truppe gegenüber Israelis, und solche UN-Soldaten wären ihm naturgemäß am liebsten. Für die Deutschen bedeutete dies indes, dass sie in den Ruch einer nicht neutralen Hilfstruppe des Judenstaats im Libanon geraten könnten."


Themenwechsel: Mit fast 80 Jahren hat Literaturnobelpreisträger Günter Grass sein Schweigen gebrochen: Ende des Zweiten Weltkrieges sei er Mitglied der Waffen-SS gewesen, offenbarte Grass in einem Interview der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Das späte Bekenntnis hat gemischte Reaktionen ausgelöst - auch in den Kommentaren der Tagespresse.

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG aus München wirft Grass einen Vertrauensbruch vor: "Er hat die ganze Öffentlichkeit getäuscht. Nicht weil er zu viel geschwiegen hätte, sondern weil er zu viel sprach. Zu allem und jedem hatte der schnurrbärtige Praeceptor Germaniae etwas zu sagen - nur nicht dazu, dass er selbst, die Uniform Himmlers und Heydrichs trug. Ja, dieser Vergleich ist polemisch und ungerecht gegenüber den vielen sehr Jungen, die damals nolens volens zur Waffen-SS kamen. Aber einer, der so lang, so häufig und oft zu Recht die Klarheit des Denkens und Redens eingefordert hat, der hätte nicht stumm bleiben dürfen über diesen Teil seiner Biografie."

Im Düsseldorfer HANDELSBLATT heißt es dazu: "Auch wenn Grass bleibende Verdienste in der Debatte um Krieg und Vertreibung hat: Als moralische Autorität hat er sich selbst vom Sockel gestoßen. Grass erweist sich mal wieder als Marketingtalent. Der Auftritt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wirkt wie die Ouvertüre zur Kampagne für sein neues Erinnerungsbuch Beim Häuten der Zwiebel. Rechtzeitig vor der Buchmesse wird die Werbetrommel für den im September erscheinenden Band gerührt."

Die STUTTGARTER ZEITUNG sieht es anders: "Jetzt fallen sie über Grass her. Sein enttäuschter Biograph Michael Jürgs spricht vom Ende einer moralischen Instanz, und auch andere sagen, er habe sein politisch-moralisches Lebenswerk entwertet. Das geht entschieden zu weit. Hier wird so getan, als sei Grass nun als NS-Verbrecher entlarvt. Seine politische Einmischung, seine Sorge um die Entwicklung der Republik bleibt richtig. Nein, das Problem liegt tiefer: Die Sache mit der SS muss immer in ihm rumort haben. Um sie zu überspielen, hat Grass sich zu Fehleinschätzungen und übertriebenen Reaktionen hinreißen lassen."

Die BRAUNSCHWEIGER ZEITUNG urteilt: "Grass hat viel politischen Unsinn geredet - etwa als Wahlkämpfer oder Zweifler an der deutschen Vereinigung. Dennoch ist er ein großer Dichter. Die späte Erinnerung an seine SS-Mitgliedschaft demonstriert geradezu, wie wenig uns das politische Urteil der Dichter erregen sollte. Deswegen bleiben wir besser gelassen und lesen Grass - seine großen Werke wie `Die Blechtrommel´ oder `Im Krebsgang´ - statt der tagespolitischen Aufgeregtheiten und moralischen Arroganz."