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Pressestimmen von Montag, 03.Juni 2002

von Siegfried Scheithauer 3. Juni 2002

SPD beschließt in Berlin ihr Wahlprogramm

https://p.dw.com/p/2Nm3

Dominierendes Thema der Kommentatoren der deutschen Tagespresse ist der Berliner Wahlparteitag der Sozialdemokraten und die programmatische Rede von Kanzler Schröder.


Die Zeitung DIE WELT zieht eine vernichtende Bilanz:

"Schröder wusste nicht den Hauch einer Vision zu vermitteln.
Stattdessen: biederes Sozialdemokratentum der Vor-Schröder-Ära... Die Neue Mitte war auch Ausdruck der Erkenntnis, dass die SPD keine Arbeiterpartei mehr ist. Modernisierung war angesagt. Diese Erkenntnis ist inhaltlich nie umgesetzt worden. Eine 'Kraft der Veränderung und Erneuerung', wie Schröder sagt, ist die SPD nicht. Das hat der Parteitag deutlich gezeigt."

Die BERLINER ZEITUNG schlägt in die gleiche Kerbe:

"Kanzler Schröder zeichnete ein Horror-Bild der sozialen Kälte und der Massenarmut für den Fall eines Sieges von Union und FDP. Klassenkampf-Rhetorik pur - und das vom 'Genossen der Bosse'. Wer Stoiber und seine Politik in Bayern kennt, weiß, dass auch dieser Schuss kein Treffer wird. Was bleibt vom SPD-Parteitag, ist das berühmte Pfeifen im Walde."

Ähnlich die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG:

"Es gab schon viele Wahlkämpfe, in denen die große Regierungspartei ihre Anhänger mit der Mahnung aufrüttelte: Bloß keine Experimente. Auf diese Masche ist jetzt auch Gerhard Schröder gekommen."

Die THÜRINGER ALLGEMEINE aus Erfurt fasst zusammen:

"Nein, eine klare Botschaft für den Osten hatte Schröder nicht.
Woher auch? Sein Herausforderer Edmund Stoiber hat diese Botschaft auch nicht. Wohl wissend, dass ein Lothar Späth das Nichts wenigstens besser zu verkaufen weiß. ... So haben die Aussagen der beiden großen Parteien zur Angleichung der Lebensverhältnisse eines gemeinsam: sie bleiben schwammig".

Auch die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG bleibt skeptisch:

"Der Schlusssatz in Schröders Parteitagsrede lautete: Der Mut
wächst. Angesichts der gegenwärtig bescheidenen Situation der Regierungspartei hat dieser Satz ebenso viel von Hoffnung wie von Autosuggestion in sich. Aus einem Rückstand lässt sich nur dann gewinnen, wenn man an den Sieg glaubt und/oder der Gegner schwere Fehler macht. Ersteres liegt in der Macht Schröders und seiner Partei; letzteres eindeutig nicht. Die Union hat bisher nicht den Eindruck erweckt, dass sie sich Blödheiten jener Größenordnung erlauben würde, wie es die FDP mit ihrer unsäglichen Möllemann-Affäre tut."

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU sieht es so:

"Der stärkste Schub kommt noch längst nicht von eigener Regierungs- herrlichkeit, sondern vom Blick auf die Union und vor allem die FDP... Seit die FDP dumpfe Ressentiments bedient, spüren die Sozialdemokraten wieder so etwas wie moralische Überlegenheits- gefühle. Das zu nutzen, ist Schröders Strategie. Das eigene Programm, das die SPD in Berlin beschloss, lässt vieles offen - auch die Bündnisoptionen, falls es zu Rot-Grün nicht mehr reicht".

Die WESTDEUTSCHE ZEITUNG erkennt auch positive Signale:

"Auch wenn in der Rede des Kanzlers die Sozialdemokraten so wichtige Nestwärme ein wenig zu kurz kam, zeigte doch der Schwerpunkt bei den sozial- und gesundheitspolitischen Themen, dass die SPD unter Schröder nicht mehr nur die kühle neue Mitte im Visier haben will. ... Ein Wandel in der Strategie war unverkennbar: Auf einen 'Rechtsaußen Stoiber', der das Volk spaltet, drosch der Kanzler nicht mehr ein. Fehler erkannt und korrigiert."

Einige Blätter werfen noch einmal ein Schlaglicht auf die Fussball- Weltmeisterschaft. Die STUTTGARTER NACHRICHTEN kommentieren:

"Wochenlang haben sich die Nörgler ungestraft auf Rudi Völlers Rasselbande eingeschossen... Jetzt donnerte ein achtfaches 'Tooor' durch das Land des dreimaligen Weltmeisters. So ist Fussball. Er eint die Nation im harmlosen Streit um den Erfolg. Jung und Alt, Arm und Reich, Chef und Stift. Die Stärken der Völler-Elf sind bekanntlich Wille, Teamgeist und Disziplin, weniger der individuelle Glanz."

Der Berliner TAGESSPIEGEL schrieb im Gegensatz dazu:

"Ein gewisses Maß an Ästhetik. Zwei, drei schöne Spielzüge. Alles, nur kein Rückgriff auf Tendenzen, mit denen die Deutschen 1954 in der Schweiz Weltmeister wurden. Heute hört es kein Deutscher mehr gern, wenn diese Tugenden typisch deutsch genannt werden. Damals hat sich die junge Bundesrepublik grätschend und Rasen pflügend den Weg aus der Isolation erarbeitet. Die Deutschen von 1954 wollten Respekt, die von 2002 wollen Zuneigung. Am Samstag haben sie dafür schon mal acht Gründe geliefert."