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Pressestimmen von Mittwoch, 30. Juni 2004

Reinhard Kleber29. Juni 2004

NATO-Gipfel in Istanbul / Nominierung von Barroso zum EU-Kommissionspräsidenten / Streit um Aufbau Ost

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Die Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen beleuchten die Nominierung des portugiesischen Regierungschefs Barroso für die Nachfolge des EU-Kommissionspräsidenten Prodi und den NATO-Gipfel in Istanbul. Ein weiteres Thema ist die neue Debatte um den Aufbau Ost.

Zur Nominierung Barrosos meint der GENERAL-ANZEIGER aus Bonn:

"Die ganz guten Europäer hat man nicht gewollt - oder sie haben selbst nicht gewollt. Jetzt also José Manuel Durao Barroso, ein portugiesischer Europäer, der bisher mit Europapolitik wenig zu hatte. Ein Freund Amerikas - und damit Großbritanniens; ein Konservativer - und damit für die im Europaparlament 'regierende' Fraktion der Christdemokraten und Konservativen zustimmungsfähig; und schließlich eine Vorbedingung dafür, dass hinter ihm Günter Verheugen so etwas wie ein Superkommissar werden kann, weshalb auch der Deutsche Schröder der Wahl des Portugiesen zustimmen konnte."

Die MITTELBAYERISCHE ZEITUNG führt aus:

"In seinem Heimatland hat er nicht erst seit seiner Gastgeberrolle für die Irak-Krieg-Befürworter auf den Azoren seinen Spitznamen: 'L'aubergiste' - 'der Gastwirt'. Portugals Ministerpräsident, José Manuel Durao Barroso, eher klein und rundlich, ist der typische Vertreter dieses ehrbaren Standes: Wenig eigene Meinung haben - und wenn, dann nicht äußern -, jedem Recht geben - und dabei seinen persönlichen Reibach machen. Einst war dieser wendige, karrierebewusste 48-jährige Portugiese ja mal Maoist. Das ist aber lange her."

Mit Blick auf die Beschlüsse des NATO-Gipfels zu Afghanistan betont die BERLINER ZEITUNG:

"Es liegt im dringenden Interesse von Amerikanern wie Europäern, in Afghanistan einen Staat aufzubauen, der irgendwann aus eigener Kraft die islamischen Radikalen bezwingen kann. Dass eine gemeinsame Friedenstruppe diese Aufgabe übernehmen sollte, darüber waren sich alle Nato-Staaten einig. Trotzdem wurde es bei jeder Befehlsübergabe schwieriger, eine Nation zu finden, die bereit war, die Führungsverantwortung über die Friedenstruppe zu übernehmen. (...) Seit knapp einem Jahr trägt die NATO die Verantwortung für die Isaf. Beim Gipfel in Istanbul nahm Nato-Generalsekretär de Scheffer nun die Regierungschefs höchstpersönlich in die Pflicht, mehr Soldaten und ein paar zusätzliche Hubschrauber und Flugzeuge zu schicken. Ob sie ihr Wort halten werden? Die Nato hofft es."

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE rückt dagegen die politischen Signale von Gipfelteilnehmern zugunsten eines EU-Beitritts der Türkei ins Rampenlicht:

"Diejenigen in der EU, die in Sachen Türkei skeptischer sind - es gibt sie, und es sind gar nicht wenige -, trauen sich nicht, ihre Meinung offen zu bekunden: Seit das geographische Argument nicht mehr zählt und seit der Einwand als politisch unkorrekt gilt, daß die EU bei aller Vielfalt doch ein gewisses Maß an Homogenität haben müsse, um für ihre Bürger erlebbar zu sein und politisch handlungsfähig zu bleiben, sind alle Dämme gebrochen. So bewegt sich die EU, die gerade zehn neue Mitglieder aufgenommen hat, deren Beitritt erst einmal bewältigt werden muß, sehenden Auges in das nächste Abenteuer hinein."

Themenwechsel: Zum Expertenbericht über den Aufbau Ost lesen wir im HANDELSBLATT:

"Unabhängig von den Ländergrenzen müssten wir alle Fördermilliarden auf die wenigen industriellen Kerne konzentrieren. Regionen ohne wirtschaftliche Perspektive müsste der Staat dagegen seine Hilfe entziehen, weil sie eine sinnlose Last für alle anderen ist. Dazu wird es jedoch nicht kommen: Der Bund und die Länder, SPD und CDU blockieren sich gegenseitig. (...) Deshalb wird auch nach dem Bericht der total zerstrittenen Dohnanyi-Kommission nichts geschehen. Gar nichts."

Die STUTTGARTER NACHRICHTEN schreiben dazu:

"Die Kommission hat jetzt Konsequenzen gezogen: Geldmittel sollen im Osten künftig direkt an geeignete Unternehmen ausgezahlt und nicht mehr sinnlos durch bürokratische Apparate gelenkt werden, wo sie versickern. Wachstumskerne hoffen Dohnanyi und seine Experten auf diese Weise zu schaffen. Diese Idee ist richtig. Das Gießkannenprinzip, das weiß man schon seit Jahren, bringt uns nicht weiter. Allerdings gibt es auch keine Garantie dafür, dass sprudelnde Firmensubventionen urgesunde Unternehmen entstehen lassen."