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Pressestimmen von Mittwoch, 21. September 2005

Siegfried Scheithauer 20. September 2005

Merkel als Fraktionschefin bestätigt / Fischer tritt als Führungsfigur ab

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Vor dem Beginn konkreter Gespräche über potentielle Regierungs- bündnisse in Berlin bestimmen zwei Personalien die Leitartikel der deutschen Tagespresse: Die Union bestätigte die angeschlagene Kanzlerkandidatin Angela Merkel mit 98 Prozent als Fraktionschefin und Außenminister Joschka Fischer, die langjährige Galionsfigur der Grünen, lehnte überraschend jegliche Führungsämter ab.

Die STUTTGARTER ZEITUNG beleuchtet die Strategien und Machtansprüche der Protagonisten:

"Bundeskanzler Gerhard Schröder setzt auf die Kräfte der Selbstdemontage im Lager der Konkurrenz, er trachtet danach, die Union auseinander zu dividieren. Dagegen spricht das fast einmütige Votum der Bundestagsfraktion von gestern: 98 Prozent für Merkel als Chefin - ein Signal der Geschlossenheit. Wie lange die Solidarität mit der angeschlagenen Kandidatin hält, weiß allerdings niemand. (...) Schröders Entschlossenheit und sein Machtwille wirken im Moment noch wie Trümpfe. Vielleicht ist alles nur ein großer Bluff, um den Einsatz hoch zu treiben für eine große Koalition."

Auch die KÖLNISCHE RUNDSCHAU fragt: "Was ist diese Solidarität mit Merkel wirklich wert?" und beschreibt die Perspektiven so:

"Blockieren die Sozialdemokraten weiter und sperren sich die Grünen, in ein schwarz-gelbes Bündnis einzuschwenken, dann steht die CDU-Vorsitzende mit leeren Händen da. (...) Aus den eigenen Reihen gibt es bereits Ratschläge, die eher dazu taugen, die Chefin im anlaufenden Politpoker zu verheizen als zu unterstützen. Die Redereien aus Hessen und Sachsen von der Minderheitsregierung machen Merkel nicht stärker".

Die OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock kommentiert:

"Was will Angela Merkel jetzt sein: Übergangs-Fraktionschefin oder Übergangs-Kanzlerkandidatin? Gleichzeitig kann sie nicht als Fraktionsvorsitzende und Bundeskanzlerin arbeiten. Nach selbstbewusstem Pochen auf den Stuhl des Regierungschefs, sieht die ganze Prozedur also nicht aus. Dann schon eher nach einem geordneten Rückzug."

Das BADISCHE TAGBLATT aus Baden-Baden schlägt in die selbe Kerbe:

"Ihre trotz der vermasselten Wahl erstarkte Rolle in der Unionsfraktion wird nicht von Dauer sein. Gelingt es ihr, eine Regierung unter Federführung der Union zu bilden, dann wird sie den Fraktionsvorsitz abgeben. Schafft sie das nicht, wird die innerparteiliche Auseinandersetzung mit aller Härte entbrennen. Das würde Merkel politisch kaum überstehen."

Die Heidelberger RHEIN-NECKAR-ZEITUNG sieht die Parteien insgesamt durch die komplizierte Situation zu Reformen verdammt:

"Das Wahlergebnis artikuliert geradezu den Auftrag, jenseits der politischen Farbenlehre eine Regierung zu bilden. (...) Die Parteien sollen über ihre erstarrten Schatten springen. Das ist die Botschaft des Souveräns."

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG analysiert:

"Deutschland ist nur unregierbar, wenn die führenden Politiker auf ihrer Sturheit beharren. Dann allerdings wird es vorderhand keine der jetzt diskutierten Koalitionen geben. Dann wird alles ein Stück schwieriger, aber auch nicht chaotisch. Denn das Grundgesetz lenkt die Sache."

Die Zeitung DIE WELT ordnet Fischers Rückzug folgendermaßen ein:

"Ampeln oder Schwampeln hält Fischer für Unfug, mit ihm als Außenminister zumal. Damit erscheint auch der Kanzler um eine Option ärmer: Der so geliebte wie gefürchtete Altvater der Grünen wäre der einzige, der seine Partei in ein Bündnis mit Guido Westerwelles FDP zwingen könnte. Zwei Tage nach der Bundestagswahl weisen viele der Zeichen in Berlin auf die große Koalition."

Auch die FRANKFURTER RUNDSCHAU sieht den Rückzug des einflussreichen Grünen als "Signal":

"Wenn Fischer noch mit dem 'Ampel'-Bündnis rechnen würde, wäre er, der so oft schon zwischen Amtsmüdigkeit und neuer Kampfeslust schwankte, etwas anders aufgetreten. In Sachen 'Jamaika'-Phantasie sitzt die grüne Skepsis ohnehin derart tief, dass es hier Fischers lenkenden Einfluss nicht braucht."

Zum Abschluss dieser Pressestimmen sei der Fischer-Nachruf der NEUEN OSNABRÜCKER ZEITUNG zitiert:

"Zwar will Fischer nun auch die harten Oppositionsbänke drücken - jedenfalls solange kein attraktives Amt bei EU oder UN winkt. Die voraussichtlich noch härtere Oppositionsarbeit möchte er allerdings lieber anderen überlassen. Der ehemalige Sponti, der so gern auf seine Vergangenheit als Straßenkämpfer verweist, ist damit endgültig domestiziert."