1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Pressestimmen von Mittwoch, 19. April 2006

Günther Birkenstock 18. April 2006
https://p.dw.com/p/8HP5

Nach dem Mordversuch an einem Deutschen äthiopischer Herkunft in Potsdam hat Generalbundesanwalt Kay Nehm die Ermittlungen übernommen. Das 37-jährige Opfer schwebt weiter in Lebensgefahr. Zwei mutmaßliche Rechtsextremisten hatten den Mann am Osterwochenende fast zu Tode geprügelt. Zu dem rassistischen Überfall äußern sich zahlreiche Kommentatoren deutscher Tageszeitungen. Ein weiteres Thema ist das jüngste Selbstmordattentat in Tel Aviv und die Entscheidung der israelischen Regierung, darauf zunächst nicht mit einem Miltitärschlag gegen die palästinensische Führung zu reagieren.

Anlässlich des rassistisch motivierten Überfalls in Potsdam warnt die KÖLNISCHE RUNDSCHAU vor einem schleichenden Anwachsen der rechtsextremen Szene:

"Man hätte es kommen sehen können. Die Bereitschaft zur Militanz in der rechtsextremistischen Szene steigt, warnte zu Jahresbeginn Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm. Zu diesem Zeitpunkt gab es zwar keine Mordanschläge, aber die Zahl fremdenfeindlicher Attacken nahm dramatisch zu. Wo Polizei und Bürgerschaft der Dinge nicht Herr werden, traut man sich was. So verschieben sich nach und nach Grenzen."

Der TAGESSPIEGEL aus Berlin kritisiert die mangelnde Wachsamkeit der deutschen Politik und Justiz: "Vor allem in den neuen Bundesländern wurden Verbrechen wie das an dem farbigen Potsdamer Ingenieur oft nur als Körperverletzung verfolgt. Und selbst bei schlimmsten Folgen nicht als Mord, allenfalls als Totschlag geahndet. Die meist jungen Täter waren ja unsere Kinder und wurden, weil arbeitslos oder alkoholisiert, fast noch zu Opfern erklärt. Obwohl sie Köpfe zertrümmern, Körper verstümmeln, Leben, selbst wenn die Opfer nicht sterben, zerstören. Wer das tut, weiß indes, was er tut. Sogar ohne Schulabschluss. Die Mörder sind Mörder, und noch immer unter uns." Der MANNHEIMER MORGEN warnt hingegen davor, die rechtsextreme Gefahr nur im deutschen Osten zu sehen:

"Gerade in den alten Bundesländern sollte aber ein großer Trugschluss vermieden werden: Dass die fiesen Nazi-Schläger nur ein Problem des Ostens sind. Mit dem Finger auf "die im Osten" zu zeigen, das ist die bequeme und einfache Lösung. Zivilcourage zu zeigen und den Mund gegen Rassismus aufzumachen, erscheint da schon schwieriger - aber nur so kann man dem rechten Spuk Einhalt gebieten. Überall."

Die WESTFÄLISCHE RUNDSCHAU aus Dortmund sieht in der Integrationsdebatte der vergangenen Wochen einen unterstützenden Faktor für rechtsextreme Gewalt und lobt die Reaktion des Generalbundesanwalts:

"Im Potsdamer Fall hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen an sich gezogen und damit signalisiert, dass er die innere Sicherheit Deutschlands bedroht sieht. Wie gut, wenn diese Botschaft auch die Politik erreicht. Die Klagen über den Imageschaden für die Stadt Potsdam und das Land haben ihre Berechtigung. Glaubwürdig werden sie erst, wenn sie mit der Erforschung und Bekämpfung der Ursachen einhergehen. Eine liegt nicht zuletzt in dem Klima, das die Integrationsdebatte der zurückliegenden Wochen geschürt hat. Von den Abwehr- und Ausgrenzungsforderungen fühlen sich die rechten Schläger regelrecht ermuntert."

Das zweite Thema der Kommentare deutscher Tageszeitungen ist der Krisenherd Nahost. Nach dem palästinensischen Selbstmordanschlag in Tel Aviv am Montag hat Israel bisher nicht militärisch Vergeltung geübt. Die Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen sehen das als einen Schritt nach vorn.

Zum Selbstmordanschlag in Tel Aviv schreibt die ALLGEMEINE ZEITUNG aus Mainz:

"Das Schockierende am jüngsten Selbstmordanschlag in Tel Aviv ist nicht die Tatsache, dass es dem Attentäter problemlos gelungen ist, durch alle Kontrollen zu schlüpfen. Das Schlimme an der blutigen Tat ist ihre Rechtfertigung durch eine demokratisch gewählte Regierung. Wann werden die Palästinenser einsehen, dass sie die falschen Leute gewählt haben? Wann werden sie einsehen, dass sie sich mit der Hamas ins politische Abseits begeben haben?"

Die KIELER NACHRICHTEN begrüßen den vorläufigen Gewaltverzicht Israels:

"Dieser Verzicht ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Erstens durchbricht Israel die eherne Regel, dass kein Gewaltakt der Palästinenser ungesühnt bleiben dürfe. Und zweitens beweist die neue Regierung in Jerusalem damit eine Flexibilität, die man ihr nicht unbedingt zugetraut hätte."

Die Rostocker OSTSEE-ZEITUNG sieht die radikale Hamas schon mit dem Rücken zur Wand:

"Solange sich die Hamas nicht zwischen Bomben und Regieren entscheiden kann, wird sich die Selbst-Isolation der palästinensischen Autonomiegebiete von der internationalen Gemeinschaft verstärken. USA und EU haben richtig daran getan, der Hamas-Regierung - nicht aber der Bevölkerung - weitere Finanzhilfen zu verweigern. Das kann erst wieder möglich sein, wenn Hamas der Gewalt abschwört und Israel anerkennt. Die Zeichen stehen so schlecht nicht, dass Hamas unter dem Druck von außen und wachsender Notlage der Palästinenser zur Realpolitik findet."

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU glaubt nicht an eine Normalisierung der Lage:

"Die vom Kabinett beschlossenen Maßnahmen töten nicht. Aber sie stärken den Würgegriff um die Gurgel der Palästinenser. Gaza ist laut UN-Angaben bereits von einer Hungersnot bedroht, weil Israel seit Januar kaum Waren in das abgeriegelte Gebiet hineinlässt. Staatliche Angestellte werden kein Gehalt bekommen, weil Israel palästinensische Steuergelder zurückhält und der Westen seine Zahlungen einstellt. Eine Politik der Nadelstiche, die in der Vergangenheit jeweils zu neuer Gewalt führte."

Die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG aus Halle resümiert die politische Lage:

"Die Einschätzung ist zwingend, auch wenn sie wenig Mut macht: Der Nahe Osten ist weit entfernt von einem echten Friedensprozess. Die Kluft in der Region ist tief, und diese Spaltung dürfte schwer zu überwinden sein. (...) Israels Entscheidung, auf den Anschlag nicht unmittelbar mit militärischen Mitteln zu reagieren, könnte die Lage beruhigen. Doch die radikalen Kräfte haben solche Reaktionen bisher nicht lange zum Stillhalten bewegt."