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Pressestimmen von Mittwoch, 16. Mai 2007

Christian Walz15. Mai 2007

Koalitionsgipfel / Kinderbetreuung

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Im ideologisch beladenen Koalitionsstreit um Mindestlöhne gab es zwar keine Annäherung. Dennoch zeigten sich Vertreter von Union und SPD nach dem jüngsten Koalitionsgipfel zufrieden - schließlich konnten sie einen 'Durchbruch' vermelden. So soll die Kleinkinderbetreuung in Deutschland massiv ausgebaut werden.

Die WESTFÄLISCHE RUNDSCHAU aus Dortmund ist der Ansicht:

'Solche Erfolge sollte sich die SPD nicht zu oft leisten. Sie würde sich davon nicht erholen. Die Union und ihre Kanzlerin haben die Koalitionsbeschlüsse geprägt. Ihre Familienministerin kann sich mit dem Ausbau der Kinderkrippen profilieren. Die SPD und ihr Vize-Kanzler Franz Müntefering wurden beim Mindestlohn hingegen vertröstet. Sie wurden von einer Kanzlerin zum Narren gehalten, die das Problem nicht lösen, sondern loswerden will.'

Die KÖLNISCHE RUNDSCHAU nimmt die große Koalition in Schutz:

'Man kann über das mühselige Klein-Klein der großen Koalition trefflich lamentieren. Manche Kritik ist sicher richtig. Manch anderer Einwand verkennt, wie schwierig es für zwei in ihrer Mentalität so verschiedenen Parteien ist, plötzlich Gemeinsamkeiten entdecken zu sollen. Gerade deshalb muss man nun anerkennen, dass Union und SPD in einer gesellschaftlich zentralen Frage einen Schritt vorangekommen sind. Dass bis 2013 für jedes dritte Kind unter drei Jahren ein Betreuungsplatz geschaffen und dieser sogar mit einem Rechtsanspruch verbunden wird, ist eine sehr gute Nachricht für junge Familien'.

Auch die THÜRINGER ALLGEMEINE -sie erscheint in Erfurt- beschäftigt sich mit dem Thema Kleinkinderbetreuung:

'Siebzehn Jahre hat es gedauert, bis der Groschen fiel. Nun ist man in den alten Ländern auch so weit, die Betreuung von Kleinkindern den Realitäten anzupassen. Nicht, weil das Modell einer noch im Dunklen zur Kinderkrippe hetzenden Mutter so attraktiv ist. Nein, weil die Verhältnisse so sind, dass junge Menschen in der Regel zwei Einkommen brauchen, um zu dritt über die Runden zu kommen. Und weil Frauen und das ist noch wichtiger zu Recht ihre Rolle, ob nun im Beruf oder zu Hause, selbst bestimmen wollen.'

Kritik an den Koalitionsbeschlüssen übt der WIESBADENER KURIER. Die Zeitung spricht von einer typtischen 'Kompromiss-Suche nach Art der großen Koalition':

'Entweder man schüttet die Gegensätze, wie beim Krippenausbau, mit zusätzlichen Milliarden zu - deren Herkunft freilich noch nicht besprochen wird. Oder man schiebt die vorhandene Einigkeit, etwa gegen sittenwidrige Hungerlöhne, aufgrund ideologischer Verbohrtheit und vielleicht auch künftiger Wahltaktik noch ein bisschen vor sich her. Kein Wunder, dass die Ergebnisse der jüngsten Koalitionsrunde nicht einmal die Teilnehmer begeistern.'

Die OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock meint:

'Was in der Nacht verkündet wurde, hält einer gründlicheren Prüfung bei Tageslicht nicht stand. Union und SPD haben sich auf eine Gute-Absicht-Erklärung verständigt: Wir werden ganz gewiss mehr Betreuungsplätze schaffen und auch einen Rechtsanspruch ins Gesetz schreiben. Aber nicht so bald. Junge Mütter, die heute in den alten Ländern händeringend einen Betreuungsplatz für ihre Kleinen suchen, müssen sich veralbert vorkommen. Das wichtige Kleingedruckte, die Finanzierung von mehr Krippenplätzen, wurde einfach vertagt. Das ist Politik nach Art der Echternacher Springprozession: Zwei Schritte vor, einer zurück.'

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU fragt:

'Was muss man von einer Koalition halten, die nächtens Kompromisse verkündet und sie am nächsten Morgen wieder wortreich relativiert? Hier werden längst eher die Grenzen als die Möglichkeiten der Zusammenarbeit abgesteckt. Und erstmals wird vorstellbar, dass es besser sein könnte, Schwarz-Rot schon 2008 per Neuwahl zu beenden und nicht erst 2009. Mangels gemeinsamer Projekte, zunehmend aber auch mangels persönlichen Vertrauens.'

Der Bonner GENERAL-ANZEIGER gibt der Kanzlerin einen wohlgemeinten Ratschlag:

'Angela Merkel sollte sich ein Beispiel an ihrem Vorgänger nehmen: Gerhard Schröder hat die rot-grünen Koalitionsrunden relativ schnell abgeschafft, weil die Öffentlichkeit sie mit Recht als Instrument zur Schlichtung vorhandenen politischen Streits ansah. Die letzte schwarz-rote Begegnung signalisiert nun, dass dieser Koalitionsausschuss schlichtungsunfähig ist. Man sucht aus Profilierungsgründen den offenen Streit und verzettelt sich in weit auseinander driftende Interpretationen dessen, was man glaubte, gerade gemeinsam beschlossen zu haben. Politisch-handwerklich ist das, was Union und SPD abliefern, ein Desaster.'

Die STUTTGARTER ZEITUNG richtet den Blick in die Zukunft:

'Wie geht es mit dieser Koalition weiter? Beim Mindestlohn trennt ein tiefer ideologischer Graben die beiden Bündnispartner. Die Union wird der SPD ein bisschen entgegenkommen müssen, damit diese das Thema nicht unversehrt in den nächsten Wahlkampf retten kann. Taktik und Gesinnung spielen offenkundig eine größere Rolle als die Misere von Hunderttausenden, die sich von ihren Einkünften nicht ernähren können, obwohl sie den ganzen Tag arbeiten. Die beiden Volksparteien haben noch nicht einmal die Halbzeit ihrer Legislaturperiode erreicht, aber ihr Vorrat an Gemeinsamkeiten scheint aufgezehrt zu sein.'