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Pressestimmen von Mittwoch, 04. Oktober 2006

Gerd Winkelmann3. Oktober 2006

Der 16. Feiertag zur deutschen Einheit / Der Gesundheits-Gipfel

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Bundeskanzlerin Merkel hat die Bürger am Jahrestag der Deutschen Einheit zu größerer Reformbereitschaft gedrängt. Nicht fragen, was nicht gehe, sondern fragen, was gehe, sagte sie in ihrer Festrede in Kiel. Dies sei ihre Haltung gewesen als Ostdeutsche bei der Wiedervereinigung gewesen. Deutschlands Zeitungskommentatoren zeigen sich durchweg skeptischer.

So lesen wir in den STUTTGARTER NACHRICHTEN:

'Deutschland habe sie verändert, bekannte die Kanzlerin, aber auch Deutschland habe sich verändert. Und dass es viele Gründe gibt, Stolz zu empfinden über die Veränderungen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik seit den Tagen der Wiedervereinigung. Den Bürgern präsentiert sich jedoch eine große Koalition, die in Grabenkämpfen erstarrt ist. Der Aufbruch der Politik erscheint vielen weiter entfernt denn je zuvor. Immerhin ist Merkel sich offenbar bewusst, wie unbefriedigend die Lage ist.'

Die OSTSEE-ZEITUNG in Rostock merkt zu diesem Thema an:

'Die Kanzlerin aus dem Osten hat mit einer sehr persönlichen Rede versucht, Mut zu machen. Offenbar hat die sonst so rational agierende Angela Merkel begriffen, dass wirkliche Einheit mehr ist als Finanztransfers, mehr als nüchterne Reformprojekte, die sich dem Bürger kaum erschließen. Das Land braucht eine verbindende Klammer, ein gemeinsames Ziel, das Lasten und Anstrengungen erträglich macht.'

Hier die Beurteilung aus der Wirtschaftszeitung HANDELSBLATT:

'Jahrestage haben die fatale Nebenwirkung, dass sie zu sinnlosen Verallgemeinerungen einladen, nach dem Motto: Wo steht Ostdeutschland 16 Jahre nach der Wiedervereinigung? Die beliebte Frage ist deshalb unsinnig, weil es den Osten nur noch aus der Perspektive des Festredners gibt. In der Wirklichkeit hat er sich aufgelöst, weil ausdifferenziert. (...) Einen Sechzehnjährigen aus Dresden trennt im Hinblick auf politische Einstellungen, Musikgeschmack und Lebensziele mittlerweile wohl mehr von einem Gleichaltrigen in Cottbus als von einem in Saarbrücken. Während Kreise wie Dresden und Oberhavel boomen, geht rund um Potsdam das Licht aus. Wo schon Länderdurchschnitte eine geringe Aussagekraft haben, kann man einen Mittelwert Ost vergessen.'

Zum Schluss noch ein Blick in die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG aus Halle:

'Dabei dreht sich alles um ein zentrales Problem. Die neuen Länder können heute nur zwischen 40 und 50 Prozent aller Ausgaben aus eigenem Steueraufkommen bestreiten. Der Rest wird über Bundeszuschüsse und Transfers aus den Sozialkassen und westdeutschen Bundesländern aufgebracht. Ab 2009 werden diese Überweisungen aber rapide abnehmen, so wie es im zweiten Solidarpakt vereinbart ist. Wer es bis dahin nicht geschafft hat, seinen Haushalt in Ordnung zu bringen, wird auf absehbare Zeit jeden Gestaltungsspielraum verlieren.'

Themenwechsel: Trotz weit reichender Kompromisse der Koalition ist eine endgültige Lösung des Gesundheitsstreits beim heutigen Spitzentreffen der Koalitionsparteien noch fraglich. Kanzlerin Merkel und SPD-Chef Beck bekräftigen ihren Willen zur Einigung. Die deutsche Tagespresse sieht einen Kompromiss skeptisch:

In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG heißt es:

'Das Zustandekommen der Gesundheitsreform wäre allein dem Umstand geschuldet, dass die Koalition sich ein Scheitern nicht leisten kann. Schon ohnedies war die Notoperation dazu geeignet, dem Wähler jedes Zutrauen in diese Koalition zu nehmen, auch weil die Nachverhandlungen miserabel gemanagt wurden. Festzuhalten war außerdem: Die CDU/CSU erwies sich als ungeordneter, undisziplinierter Partner, und die SPD zeigte der Union mit ihren Tricksereien und Blockaden, dass sie zusammen nicht viel mehr können, als sich gegenseitig zu neutralisieren.'

Der Kommentator der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG schreibt:

'Es geht doch gar nicht um einen Kompromiß zwischen der CDU-Vision einer Gesundheitsprämie, sprich Kopfpauschale, und dem SPD-Projekt einer Bürgerversicherung. Es geht nicht darum, zwei perfekte Werkstücke so lange abzuschleifen, bis sie zueinander oder ineinander passen. Denn diesen Kompromiß kann es nicht geben und auch keinen Mittelweg aus beidem. Die Parteiführer sollten das endlich eingestehen und den wahren Auftrag an die Gesundheitspolitiker beider Lager offenlegen, damit die Bevölkerung das monatelange Mühen, das als ärgerliche Erfolglosigkeit mißverstanden wird, endlich versteht.'

Die VOLKSSTIMME aus Magdeburg ist überzeugt:

'Nein, ein großer Wurf wird sie wahrlich nicht. Auch im Fall der Gesundheitsreform zeigt sich die Schwäche der Großen Koalition in Berlin. Statt mutig Zukunft zu gestalten, heißt es, gemeinsam den Mangel zu verwalten. Den Mangel an Entschlossenheit, an Mut, den eigenen Schatten zu überspringen. Wie auch immer der Kompromiss aussehen wird: Am Ende ist keiner wirklich zufrieden. Weder Politik, noch Patienten, von Leistungserbringern und Krankenkassen ganz zu schweigen. Die Zeche zahlt (wie immer) wieder der Bürger. Zentrale Fragen bleiben bei derlei Herumdoktern am System ungeklärt.'

Zu guter Letzt die Meinung der LEIPZIGER VOLKSZEITUNG:

'Not-Operation gelungen, Patient lebt noch. Wenn sich heute Abend der Koalitionsausschuss mit dem Thema Gesundheitsreform beschäftigt, bestehen gute Chancen, den gordischen Knoten noch zu zerschlagen. Dann könnte die angeschlagene Merkel-Regierung verspätet zu einer Art Befreiungsschlag ansetzen. Trotz anspringender Konjunktur und Arbeitslosenzahlen, die sich deutlich nach unten bewegen, gilt die Gesundheitsreform als Nagelprobe für den Erfolg der Koalition. Scheitert das Projekt, dürfte auch die große Koalition das Ende der Legislatur nicht mehr erleben.