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Pressestimmen von Freitag, 6. Oktober 2005

Günther Birkenstock6. Oktober 2005

Große Koalition / Flüchtlinge Marokko

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Das zähe Ringen um eine Entscheidung, wer welche Rolle in der zukünftigen Regierung spielen soll, steht weiterhin im Zentrum der Zeitungskommentare ebenso wie das Flüchtlingsdrama in Nordafrika.

Die BRAUNSCHWEIGER ZEITUNG sieht die Diskussionen um die Regierungsbildung als düstere Vorzeichen:

"Was kostet ein Kanzlerposten? Einen Bundestagspräsidenten, zwei Ministerien, ein halbes Dutzend Staatssekretäre? Seit vier Wochen erleben die Bundesbürger ein unansehnliches Spiel, dessen Feld sie selbst abgesteckt haben. Wen in den Parteispitzen scheren derzeit Millionen von Arbeitslosen, Reformstau und Finanzdesaster? Es geht um die Verteilung von Posten, um Macht, Einfluss und Ansehen. Die nahende große Koalition wirft damit einen düsteren Schatten voraus."

Der REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER sieht mit Nüchternheit auf die notwendige Annäherung der Kontrahenten:

"Angela Merkel, die unbedingt an die Schalthebel der Macht will, wird im Gegenzug bereit sein, den Sozialdemokraten nicht nur zentrale Kabinettsposten zu überlassen. Obendrein hat die Unions-Frontfrau schon jetzt in den wichtigsten Politikfeldern wesentliche Sachpositionen ihres Wahlprogramms geräumt. Eine CDU-Kanzlerin, die vielfach SPD-Politik umsetzen muss - das ist inzwischen eine realistische Option."

Die WESTDEUTSCHE ZEITUNG aus Düssseldorf sieht die Zumutungen gleich verteilt, auch wenn Gerhard Schröder vom Kanzleramt lassen muss:

"Unbestritten wäre Schröder der geeignetste Kandidat für das Außenressort. Auch für die SPD wäre die Lösung optimal. Natürlich wäre es nicht leicht für ihn, in die zweite Reihe zu treten und einer Frau zu dienen... Andererseits könnte es ihm eigentlich egal sein, wer unter ihm Kanzlerin ist. Die «persönliche Zumutung», von der Schröder gesprochen haben soll, wäre für Merkel im Zweifel größer."

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG beschäftigt sich mit dem anhaltend Flüchtlingsdrama in Nordafrika:

"Die spanische Regierung tut jetzt das nahe liegende: Sie erhöht, im Wortsinne, die Zäune, aktiviert ein Rückführungsabkommen und ruft nach europäischer Verantwortung. Vielleicht wird von jenem eine abschreckende Wirkung ausgehen, aber es wird den Druck der Illegalen nicht mildern, sondern nur umleiten. Bleibt eigentlich nur eine Politik, die versucht, das steile Wohlstandsgefälle zu verringern. Aber das ist so richtig wie unrealistisch, denn wirken würde sie, wenn überhaupt, nur in ferner Zukunft."

Die TAZ aus Berlin sieht angesichts des Flüchtlingsproblems nur noch politischen Zynismus walten:

"Wie immer sieht die Politik 'Handlungsbedarf'. Zäune werden erhöht, Patrouillenboote schwärmen aus, Flüchtlinge werden brachial zurückgeschafft. Und Helfershelfer werden gesucht, die Europa den unschönen Job der Flüchtlingsabwehr abnehmen. Italien kooperiert schon fleißig mit Libyen, stellt Geräte und Know-how zur Verfügung, finanziert Camps in der Wüste, bezahlt den Rücktransport der zu Gaddafi zurückgeschafften 'Illegalen' in ihre Heimatländer. Wenn Marokko mitspielt, wird Spanien früher oder später den gleichen Weg einschlagen."

Und die LANDESZEITUNG aus Lüneburg bescheinigt den Industriestaaten politische Kurzsichtigkeit ohne Aussicht auf Besserung:

"Fernab vom Berliner Pokerspiel um die Macht setzen tausende Menschen ihr Leben aufs Spiel: Ein Heer der Verzweifelten setzt sich vom vergessenen Kontinent aus in Bewegung, um die Festung Europa zu erreichen... Fatale Kurzsichtigkeit prägt seit langem die Politik der Industriestaaten. Statt afrikanischen Staaten den Handel zu erleichtern, wurde deren Handeln eingeengt. Bis das Eingeständnis des Scheiterns zum Umdenken westlicher Politik führt, wird es für viele Menschen zu spät sein."