1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Pressestimmen von Freitag, 28. April 2006

Ulrike Quast27. April 2006

Gute Konjunkturaussichten / Wichtige deutsch-russische Gespräche

https://p.dw.com/p/8Juj

Die sechs führenden Wirtschaftsforschungsinstitute haben Deutschland für 2006 mit 1,8 Prozent das stärkste Wirtschaftswachstum seit sechs Jahren vorausgesagt. Die Kommentatoren der Tagespresse bewerten die Konjunkturaussichten unterschiedlich.

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU schreibt:

"Erstmals seit langem besteht sogar die Aussicht, dass die lahmende Binnenwirtschaft in Fahrt kommt. Außen hui, innen pfui diese Formel für den Zustand der deutschen Wirtschaft greift nur noch zur Hälfte, weil sich endlich zu Hause etwas tut. Die Unternehmen geben ihre Zurückhaltung auf und investieren kräftig in Deutschland. Der private Konsum allerdings hinkt hinterher, was die Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Mehrwertsteuererhöhung verstärkt. Der konjunkturelle Aufwärtstrend bietet der Koalition die Möglichkeit, ohne riskante Bremsmanöver ihre Haushaltsziele zu erreichen. Sie sollte die seltene Gelegenheit nutzen und dem Aufschwung eine Chance geben."

Die LÜBECKER NACHRICHTEN warnen:

"Trotz aller Zuversicht, die endlich im Land der Zauderer, Bedenkenträger und Schwarzseher immer mehr um sich greift, darf man die Augen nicht vor den bisher ungelösten Problemen verschließen. Das Wachstum in 2006, das im kommenden Jahr durch die Steuererhöhung und eine abflachende Weltkonjunktur schon wieder geringer ausfallen wird, reicht nicht aus, um das Problem der Massenarbeitslosigkeit spürbar zu mildern. Deshalb sollte die schwarz-rote Koalition die relativ gute Stimmung in der Wirtschaft nutzen und die Reformpolitik konsequent weiter entwickeln. Die Arbeitskosten müssen gesenkt, die Aufwendungen für die Sozialsysteme gerechter auf alle Bürger verteilt und die überbordende Bürokratie abgebaut werden."

Die ALLGEMEINE ZEITUNG aus Mainz fragt:

"Hat Deutschland seine ökonomische Krise endlich überwunden? Leider nein, denn schaut man genauer hin, so verlieren die meisten der gestern vorgelegten Zahlen ganz schnell ihren Glanz. Die Experten sprechen von einem kurzfristigen, wären sie unhöflich, würden sie sagen, kurzatmigen Anstieg. Denn die Kernprobleme sind von Merkel und Co. noch nicht einmal angepackt worden und die beschlossenen Steuererhöhungen sind der völlig falsche, eine rigorose Haushaltssanierung der einzig richtige Weg."

In der STUTTGARTER ZEITUNG heißt es mit Blick auf die Konjunktur:

"Wenn dieses Zweckbündnis aber seinen Zweck verfehlt, nämlich die Wachstumsschwäche, die Arbeitslosigkeit, die Defizite im Haushalt und in den Sozialkassen kräftig zu lindern, dann stehen beide Volksparteien als Versager da. Der politische Schaden, der Schaden für die Demokratie, wäre immens."

Die ESSLINGER ZEITUNG ist der Meinung:

"Diese Erfolge fallen der Großen Koalition einfach so in den Schoß. Denn was sie beschlossen hat, kann noch gar nicht wirken oder ist kontraproduktiv. So fürchten die Konjunkturforscher, dass die dreiprozentige Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Januar die Konjunktur ausbremsen könnte."

Themenwechsel. Nach dem Abschluss der ersten deutsch-russischen Konsultationen in der Amtszeit der großen Koalition versucht die Tagespresse, den neuen Umgang zwischen den Regierungen in Berlin und Moskau zu analysieren.

Zu den Gesprächen im sibirischen Tomsk schreibt die HESSISCHE/NIEDERSÄCHSISCHE ALLGEMEINE aus Kassel:

"Zur Freundschaft wird's wohl nicht reichen, zu verschieden sind Angela Merkel und Wladimir Putin. Doch das ist auch nicht nötig. In der Politik geht es um nationale Interessen und internationale Probleme, nicht um persönliche Sympathien. Deshalb setzt die deutsche Kanzlerin auch ganz emotionslos auf enge Kooperation mit dem russischen Präsidenten, nicht - wie Schröder und sein 'lupenreiner Demokraten'-Freund Putin - auf strategische Partnerschaft. Der Einstieg der Kasseler Wintershall beim Ostseepipeline-Projekt ist letztlich ein Beispiel dafür, dass Kanzler, Parteichefs und Präsidenten kommen und gehen, Wirtschaftsinteressen aber bleiben. Gute Geschäfte sind möglich, ohne dass die Politik kuscheln muss."

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG meint:

"In der Außen- und Sicherheitspolitik drohen die Positionen Deutschlands und Russlands wieder auseinanderzudriften. Die Kanzlerin sagte in Tomsk, im Streit um das iranische Atomprogramm sei für Deutschland ein geschlossenes Vorgehen der Staaten- gemeinschaft von 'allerhöchstem Interesse'. Entgegen allen Lippenbekenntnissen sorgte Moskau bislang aber dafür, dass der internationale politische Druck für Teheran erträglich blieb. Russland verfolgt in dieser Sache eine eigene Agenda, an deren oberster Stelle die Wiedererlangung des schmerzlich vermissten Großmachtstatus steht."

Die FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND bewertet das Treffen kritisch:

"Realistisch betrachtet waren diese Regierungskonsultationen ein völliger Misserfolg. Seit Merkel klar gemacht hat, dass sie anders als ihr Vorgänger auch demokratische Defizite in Russland ansprechen will, ist der Ton im Kreml deutlich rauer geworden. Moskau versteht sich, ermutigt von den steigenden Rohstoffpreisen, wieder als Weltmacht und will als solche behandelt werden. Auf Kritik reagiert die russische Führung ausgesprochen dünnhäutig. Die Bundeskanzlerin sollte sich davon nicht beirren lassen. Die russische Art der Diplomatie, die auf Drohungen, Imponiergehabe und kleinen Demütigungen basiert, entstammt einem anderen Jahrhundert."

Das HANDELSBLATT aus Düsseldorf ist der Ansicht:

"Über Atmosphärisches hinaus zeigt Tomsk aber das Problem jedes Kanzlers, einen dritten Weg zwischen Ablehnung und Anbiederung zu finden. Bei der Abwägung realer Interessen, übrigens nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch außenpolitischer wie im Konflikt mit dem Iran, überwiegt der Wunsch nach mehr Kooperation völlig zu Recht. Kohl und Schröder haben versucht, ein persönliches Verhältnis zu ihrem russischen Gegenüber aufzubauen. Auch Merkel sucht die enge Kooperation."