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Pressestimmen von Freitag, 27. Oktober 2006

Siegfried Scheithauer26. Oktober 2006

Bundeswehr-Skandalfotos / Neuauflage Mannesmann-Prozess

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Der Skandal um die mutmaßliche Störung der Totenruhe durch deutsche Soldaten in Afghanistan zieht immer weitere Kreise. Als eine der Konsequenzen kündigte Verteidigungsminister Jung an, die Ausbildung der Bundeswehr für Auslandseinsätze zu überprüfen. Weiterhin ein zentrales Kommentarthema der deutschen Tagespresse.

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG hinterfragt militärische Strukturen und Traditionen:

"Das Unteroffizierskorps bildet das Rückgrat der Armee. Die Soldaten in diesem Mittelbau sind es, die junge Soldaten ausbilden und ihnen ein Vorbild sein sollen. Gerade für diese Gruppe ist aber in der Vergangenheit nicht genug getan worden. Die Besoldung ist mäßig, die Aufstiegsmöglichkeiten sind begrenzt. Deswegen stehen für diese Aufgaben n i c h t immer die Besten zur Verfügung. Auch hier muss ansetzen, wer verhindern will, dass sich die Skandalszenen von Kabul wiederholen."

Der Leitartikler der KÖLNISCHEN RUNDSCHAU meint im Gegensatz dazu:

"... Der Satz, man bekomme mit schlechter Bezahlung für einen risikoreichen Beruf nur die Qualität, die zu diesem niedrigen Preis verfügbar ist, trifft s o n i c h t zu. Zahllose Soldaten, die zuverlässig dienten, beweisen das Gegenteil. Und Polizisten oder Feuerwehrleute - die ebenfalls gefährliche Berufe ausüben - werden auch nicht üppig bezahlt. Auch von ihnen wird verlangt, in Stress- Situationen richtig zu reagieren."

Der TRIERISCHE VOLKSFREUND bringt mahnend in Erinnerung:

"Seit Jahren wiederholen sich die Analysen zu miserablem oder komplett fehlendem Material, zu wenig und schlecht ausgebildetem Personal, überforderten und seelisch stark belasteten Soldaten in den Berichten der Wehrbeauftragten des Bundestages. Offenbar Papiere, die selbst von den direkt Verantwortlichen kaum gelesen werden. Verteidigungsminister Jung jedenfalls will ernsthaft in seinem Weißbuch der Truppe auch noch den Einsatz im Innern aufhalsen. Statt damit die Überlastung auf die Spitze zu treiben, sollte er endlich nachholen, was längst überfällig ist: die Bundeswehr einsatzfähig zu machen für die Normalität."

Die TAGESZEITUNG, kurz "taz", aus Berlin versucht sich mit einer Analyse der deutschen Taktik am Hindukusch:

"Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan gilt als vorbildlich. Deutschland wird, anders als die USA, eher als Helfer wahrgenommen und nicht als Macht. Der Bundeswehrsoldat als Freund und Helfer - das ist gleichzeitig wahr und ein Trugbild. Denn dieses Bild ist Teil eines Doppelspiels, das bislang erstaunlich geräuschlos funktionierte. Die Bundeswehr betätigt sich als THW, während die Eliteeinheit KSK, völlig abgeschirmt vor jeder Öffentlichkeit, in Afghanistan kämpft. Diese unter Rot-Grün perfektionierte Arbeitsteilung war bequem - und verlogen."

-- Eine Herausforderung für Analyse und Meinung ist an diesem Freitag auch die Neuauflage des Mannesmann-Prozesses. Zum dritten Mal beschäftigt sich ein Gericht mit den Millionen-Prämien an Top-Manager im Zuge der Mannesmann-Übernahme durch Vodafone. Angeklagt sind erneut unter anderem Ex-Konzernchef Esser und Deutsche Bank-Chef Ackermann.

Das HANDELSBLATT aus Düsseldorf wirft ein Schlaglicht auf die Schwierigkeiten der Justiz mit dem modernen Wirtschaftssystem:

"Die ungeheuren Geldsummen, die komplizierten und wechselnden Interessenlagen während einer laufenden Fusion wie damals zwischen Mannesmann und Vodafone - dafür sind unsere Gesetze nicht gemacht, und dafür fehlt über weite Strecken eine geeignete Rechtsprechung. Unseren Juristen (...) fällt es oft schwer, ihre erlernte Dogmatik auf komplizierte wirtschaftliche Zusammenhänge zu übertragen."

"Schauprozess" titelt die FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND und spricht von Vorverurteilung und einem Zerrbild der Unternehmensführer:

"Für viele steht das Urteil schon fest: Die sechs Angeklagten sind schuldig der Gier, der Arroganz, der Immoralität. Vor Gericht steht dabei nicht nur eine Handvoll Einzelpersonen, sondern die Managerkaste an sich. Dass Ackermann sich keineswegs persönlich bereichert hat, spielt ebenso wenig eine Rolle wie die Tatsache, dass es nicht um das Geld der Steuerzahler ging, sondern um das der Mannesmann-Aktionäre". Die WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG aus Essen schlägt in die gleiche Kerbe:

"Ein Generalverdacht gegen die als gierig empfundene Vorstandskaste grassiert. Von der Öffentlichkeit jedenfalls sind die Angeklagten rund um Ackermann und Esser längst schuldig gesprochen. Fragen von Anstand und Moral allerdings lassen sich nicht vor Gericht klären, wohl aber in einer gesellschaftlichen Debatte", schreibt die "WAZ".

Eher als Ergänzung der Anklage liest sich der Kommentar der OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock:

"Erst baten die Gentlemen selbstgefällig zur Kasse, nun sitzen sie irritiert auf der Anklagebank. Wer hätte das gedacht? Der Fall Esser hat bilderbuchartig demonstriert, wie sich im Zuge von Shareholder- Value - einer Unternehmensstrategie, die den Aktienkurs zur Pseudo- Religion erklärt - das Kapital von allen Grenzen befreit hat. (...) Wirtschaftseliten brauchen nicht nur fachliche Kompetenz - auch soziales Gespür. Letzteres hatten die geldtrunkenen 'Mannesmänner' nicht."

Der NORDBAYERISCHE KURIER aus Bayreuth hofft immerhin auf eine therapeutische Wirkung des Prozesses:

"Der Makel des gierigen Managers bleibt. Der Mannesmann-Prozess könnte aber zum Korrektiv für eine Manager-Klasse werden, die Maß und Mitte verloren hat und fern jeder Bodenhaftung nach eigenem Gutdünken schaltet und waltet. Die Unersättlichkeit mancher Konzernchefs ist zur Gefahr für den inneren Frieden im Land geworden. Es muss ihr nun wirkungsvoll begegnet werden."