1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Pressestimmen von Freitag, 26. Januar 2007

Bernhard Kuemmerling25. Januar 2007

Skandalserie bei Siemens / Hartz-Urteil

https://p.dw.com/p/9lRG

Mit der Skandalserie beim Weltkonzern Siemens und dem Urteil gegen den früheren VW-Personalchef Peter Hartz beschäftigen sich die Leitartikler der deutschen Tagespresse.

Die in München erscheinende SÜDDEUTSCHE ZEITUNG meint zu den Vorgängen bei Siemens:

"Niemand kann mich bremsen, lautet Kleinfelds Botschaft. Doch damit begibt er sich in Gefahr. Er wird den Konzern möglicherweise überfordern. Die 475 000 Mitarbeiter von Siemens, die lange eine gemächliche Gangart gewohnt waren, sind verunsichert, und ihre Verunsicherung wird weiter steigen. Kleinfeld aber muss die Menschen mit auf seinen Weg nehmen, wenn er als Konzernchef bestehen will. Seine Flucht nach vorne könnte ihn sonst den Kopf kosten."

In den STUTTGARTER NACHRICHTEN lesen wir:

"Vor kurzem galt Siemens als grundsolides Unternehmen mit langer Tradition und Treue zum Standort Deutschland. Binnen kürzester Zeit hat der Konzern seinen Ruf als Aushängeschild der deutschen Wirtschaft verspielt. Immerhin, Vorstandschef Kleinfeld und sein Vorgänger Heinrich von Pierer zeigen sich reumütig und überbieten einander mit Selbstvorwürfen. Doch am Los der meisten früheren Siemens-Mitarbeiter aus der Handy-Sparte ändern die warmen Worte des Konzernchefs nichts. Es wird ein langer Weg werden, bis Siemens wieder an sein früheres Ansehen anknüpfen kann. Vieles wird davon abhängen, ob es wirklich die rückhaltlose Aufklärung der Korruptionsaffäre gibt, die Kleinfeld versprochen hat. Der gute Wille, den er vor den Aktionären bekundete, ist hierfür Voraussetzung - aber keineswegs ausreichend."

Die ABENDZEITUNG aus München schreibt:

"Der Weltkonzern aus München rutscht in eine Schieflage, aus der ihn nur noch eines befreien kann: radikale Offenheit in der Darstellung der unterlaufenen Fehler und Versäumnisse, verbunden mit einem Rücktritt des Hauptverantwortlichen, Siemens-Aufsichtsrat-Chef Heinrich von Pierer. Doch der klammert. Bei einem Funken Anstand hätte allein der Umstand, dass es gerade auch Vorgänge aus seiner Amtszeit als Vorstandsvorsitzender sind, die das einstige Vorzeigeunternehmen so in Verruf gebracht haben, dazu führen müssen, dass von Pierer sein Amt zumindest ruhen lässt."

Und die WETZLARER NEUE ZEITUNG sieht es so:

"Der Schaden, den die Skandalserie bei Siemens hinterlässt, ist nicht in erster Linie in der Konzernbilanz eines Jahres zu messen. Er wiegt schwerer: Der Verlust an Ansehen eines der größten Arbeitgeber in Deutschland mit weltweit fast einer halben Million Beschäftigten kann auf den Produkt-Absatz durchschlagen - und dann wäre es ein Dauerschaden. Die Aktionäre haben eine kleine Chance, den Schaden zu begrenzen und ein Signal des Neubeginns zu setzen: indem sie Aufsichtsratschef von Pierer in die Wüste schicken. Nur Mut: Freiwillig geht er bestimmt nicht."

Themenwechsel. Und damit zur Schmiergeldaffäre bei VW und dem Urteil gegen Ex-Personalvorstand Peter Hartz.

Die STUTTGARTER ZEITUNG kommentiert:

"Mag sein, dass bei einer ordentlichen Aufklärung sogar ein milderes Urteil gegen Peter Hartz herausgekommen wäre. Das wäre hinnehmbar gewesen, hätte es denn der Wahrheitsfindung gedient. So bleibt ein mehr als ungutes Gefühl. Das Urteil, das gestern gefällt worden ist, ist ein schlechtes Urteil. Nicht weil Peter Hartz, verglichen mit anderen Wirtschaftskriminellen, bevorzugt behandelt wurde, das ist nicht der Fall. Verglichen mit anderen Veruntreuungen ist auch das Strafmaß vertretbar. Man muss nur an den Mannesmann- Prozess denken. Außergewöhnlich bleibt, wie es das Gericht versäumt hat, Hintergründe - und Hintermänner - aufzudecken. Die Prozessökonomie hat ihre Berechtigung, aber sie darf die Suche nach der Wahrheit nicht verdrängen."

In der OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock heißt es:

"Was Recht ist, muss leider nicht gerecht sein. Doch zur Ehrenrettung der Justiz gehört, dass sie zu trennen wusste. Hartz stand nicht als Arbeitsmarkt-Reformer vor Gericht, sondern als unredlicher Wahrer eines erkauften Betriebsfriedens. Mit Bedacht wurde er nicht wegen der Veruntreuung von einigen Tausendern für Damen aus dem Rotlicht angeklagt. Verurteilt wurde er wegen der knapp zwei Millionen Euro aus VW-Kassen, die er an einen bestechlichen Betriebsrat ausreichte. Durch das Eingeständnis von Hartz ist die Justiz nun besser in der Lage, das korrupte 'System VW' aufzurollen."

Die WESTDEUTSCHE ZEITUNG aus Düsseldorf meint:

"Das Gericht erspart sich einen komplizierten Prozess, kann sich anderen Akten zuwenden. Der Staatsanwalt erhält über das Geständnis von Hartz Munition für die noch anstehenden Prozesse - vor allem den gegen Ex-VW-Betriebsratschef Volkert als mutmaßlichem Haupt- Spitzbuben der Affäre. Und Hartz selbst hat sich nicht nur eine höhere Strafe erspart, sondern auch peinliche Gegenüberstellungen mit als Zeuginnen befragten Prostituierten. Was aber leidet, ist unser aller Gefühl, dass es vor Gericht mit rechten Dingen zugeht. Zwei- Klassen-Strafrecht, unwürdiger Handel mit der Gerechtigkeit - all- das sind durchaus Argumente, den Deal vor Gericht abzulehnen."

Abschließend noch ein Blick in den BERLINER KURIER, der schreibt:

"Der Sturz von Hartz ist tief. Aber die Landung ist weich. Der Ex- Top-Manager fällt nicht ins Nichts. Er hat mit Millionen jongliert bis zum Schluss. Immerhin hat er so viel auf der hohen Kante, dass er sich davon Freiheit kaufen kann, die für manch anderen in der Zwickmühle unbezahlbar ist. Und so wird eines der höchsten demokratischen Güter zur Ware degradiert. Kein Wunder, dass angesichts des Kuhhandels die Volksseele kocht. Die normalen Bürger gewinnen den Eindruck, dass nicht alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind."