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Pressestimmen von Freitag, 25. November 2005

Hajo Felten und Reinhard Kleber24. November 2005

Merkel in London / Schröder wird Medienberater

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Deutschland und Großbritannien wollen ihre Beziehungen vertiefen. Das vereinbarten Bundeskanzlerin Angela Merkel und der britische Premierminister Tony Blair bei einem Treffen in London. London ist nach Paris und Brüssel die dritte Auslandsstation Merkels nach ihrer Wahl zur Bundeskanzlerin. Mit ihren ersten internationalen Auftritten befassen sich auch viele deutsche Zeitungskommentare - darunter auch die FRANKFURTER ALLGEMEINE:

"Kanzlerin Merkel absolviert in den ersten 48 Stunden ein Besuchsprogramm, das die Großkoordinaten ihrer Außen- und Europapolitik beschreibt und in dem sich sogar ein Motto verbirgt: das des Ausgleichs, der Balance, der Verläßlichkeit. Vielleicht hatte die politische Klasse in London gehofft, Frau Merkel werde zuerst Tony Blair ihre Aufwartung machen. (...) Aber das zu hoffen wäre auch nur törichtes Achsendenken gewesen. (...) Europa kommt gut voran, wenn Deutschland, Frankreich und Großbritannien vernünftig und zielorientiert zusammenarbeiten - nicht, wenn sie in feindliche Lager zerfallen."

Die WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG lobt Merkels erste internationale Aufritte als Bundeskanzlerin. Sie kommentiert:

"Durchaus mit Charme, vor allem aber kompetent präsentierte sie sich in Paris, Brüssel und London. Die Gesprächspartner zeigten sich angetan: Da hat kein politisches Leichtgewicht die Visitenkarte abgegeben. Ob man nun politisch auf Merkels Linie liegt oder nicht: Für ein Land wie die Bundesrepublik ist es keinesfalls egal, wie sein wichtigster Repräsentant im Ausland ankommt."

Die BADISCHEN NEUESTEN NACHRICHTEN aus Karlsruhe schreibt dazu:

"Vielleicht muss ein Land erst eine so tiefe Talsohle durchschritten haben, wie es der Krisenfall England vor gut zwanzig Jahren tat, bevor es jegliche nationale Arroganz ablegt, wirklich offen wird für Fremdes, bevor es Veränderungen eher als Chance begreift denn als Bedrohung. Das können, wenn sie denn wollen, auch deutsche Politiker an der Themse studieren. Schaden würde es nicht."

Für die FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND hat Merkel bei ihrer ersten Auslandstournee gezeigt, dass sie die Bedeutung der Europapolitik früh erfasst hat. Hier heißt es:

"Angela Merkel, so viel ist nach ihren Antrittsreisen nach Paris, Brüssel und London klar, hat dieses lange vor ihrem Start ins Amt erkannt. Ihr Blick auf die deutsche und europäische Wirklichkeit wirkt schon heute wesentlich weltläufiger als Schröders provinziell verengter politischer Horizont des Jahres 1999. Mit der Wahl ihres außenpolitischen Chefberaters Christoph Heusgen, mit ihrem frühen Besuch in Brüssel, mit ihrer Stippvisite beim EU-Parlament und mit ihrem klaren Bekenntnis zur Bedeutung der Europäischen Verfassung präsentiert Merkel sich als eine Regierungschefin, die innenpolitische Machtausübung von Anfang an mit gestalterischem außenpolitischem Wirken in und für Europa verbinden will."

Und nun zu einem zweiten Thema:

Der Schweizer Medienkonzern Ringier hat Altbundeskanzler Gerhard Schröder als Berater engagiert. Mit seiner internationalen Erfahrung sei der Altkanzler eine Bereicherung, erklärte das Unternehmen. Zeitpunkt und Motive dieses Wechsels veranlassen die deutschen Leitartikler zu unterschiedlichen Stellungnahmen.

Die NORDWEST-ZEITUNG aus Oldenburg schreibt:

"Ja, einst galt Gerhard Schröder als der Medienkanzler. Mit Hilfe von 'Bild, Stern und Glotze' (Zitat Schröder) pflegte er sein Image als Mann zum Anfassen. Nein, zuletzt im Wahlkampf zählten die Journalisten nicht mehr zu des Kanzlers Freunden. Selbst die nicht, die noch zur Hochzeit mit Doris eingeladen waren. Medialer Schnee von gestern. Ab heute ist Gerhard Schröder Medienberater. Also ein Print-Mann. Willkommen im Club. Dass sich der Alt-Kanzler ausgerechnet bei einem Schweizer Multi engagiert, mag seine Rache an den deutschen Verlagsmanagern sein."

Im HANDELSBLATT lesen wir zu diesem Thema:

"Ringier erhofft sich von Schröder offenbar, dass der Altkanzler dem Verlag auf internationalem Parkett politische und geschäftliche Türen öffnet. Darin hat Schröder sehr viel Erfahrung, ob in China oder in der Golfregion. Als Kanzler setzte er sich bei seinen zuletzt zahlreichen Auslandsreisen immer wieder intensiv für die Geschäftsinteressen deutscher Unternehmen auf den Weltmärkten ein. Als Altkanzler steht es ihm frei, dies nun auch für ausländische Unternehmen zu tun."

Skeptischer bewertete das MINDENER TAGEBLATT die Entscheidung:

"Schröder soll Türen öffnen, etwa in Osteuropa - hat er doch einen Duzfreund im Kreml - oder in China, wo der Ex-Regierungschef nach seinem Engagement für die Aufhebung des EU-Waffenembargos sicher weiter gern gesehen ist. Die Geschäftsbeziehung könnte sich für die Schweizer also durchaus lohnen. Sie ist allerdings nicht ohne Pikanterie. (...) Das ist für Schröder kein Hinderungsgrund, er sieht sich als Privatmann. Nun, auch andere Altkanzler oder Ex-Minister haben sich im Mediengeschäft etabliert. Allerdings ist es schon erstaunlich, dass der vom Steuerzahler vor drängender Existenznot bewahrte Soeben-Noch-Kanzler es mit der Karriere in der Wirtschaft so eilig hat."

Soweit das MINDENER TAGEBLATT. Abschließend zitieren wir das COBURGER TAGBLATT, das Verständnis für Schröders Frontwechsel zeigt:

"Für einen wie ihn, der sieben Jahre die Republik regierte und nun von einem auf den anderen Tag nicht mehr wichtig sein soll, ist der Pensionsschock mit dem Absturz in die Bedeutungslosigkeit nicht leicht zu verkraften. Und mit 61 gehört man schließlich nicht zum alten Eisen. Da kommt dem Ex-«Medienkanzler» sein vermutlich gut dotierter Teilzeitjob für den Schweizer Verleger Ringier gerade recht. Sein künftiger Beruf des «Türöffners» (...) wird den Entzug der Droge Macht erträglicher machen."