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Pressestimmen von Freitag, 23. Juli 2004

Walter Lausch22. Juli 2004

Freisprüche im Mannesmann-Prozess/ Parlamentarische Bestätigung von Barroso als EU-Kommissionschef

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Beliebtes Kommentarthema in den Freitagsausgaben der deutschen Tageszeitungen sind die Freisprüche im Düsseldorfer Mannesmann- Prozess. Auch die Bestätigung des neuen EU-Kommissionspräsidenten durch das Europaparlament ist ein viel aufgegriffenes Thema.

Zum Ausgang des Mannesmann-Prozess schreibt die Berliner TAGESZEITUNG:

"Auch wenn sich nicht wenige ein anderes Urteil erhofft haben werden: Alles andere als ein Freispruch für die Angeklagten im Mannesmann-Prozess wäre eine große Überraschung gewesen. Das Urteil ist kein Grund für übermäßige Enttäuschung. Denn es war bereits ein Erfolg, dass überhaupt ein Prozess geführt wurde. Letztendlich aber ist die Frage nach der Rechtfertigung der Höhe von Managergehältern und Abfindungen mit dem Strafrecht nicht zu beantworten. Es ist eine Frage gesellschaftlicher Auseinandersetzung. Aber wen überkam nicht ein gewisses Gefühl der Genugtuung dabei, Ackermann, Esser & Co. ein halbes Jahr lang Woche für Woche auf der Anklagebank zu sehen, statt in ihren noblen Vorstandszimmern? "

Für den NORDBAYERISCHEN KURIER aus Bayreuth bleibt ein Nachgeschmack:

"Es mag schon sein, dass die Düsseldorfer Mannesmann-Angeklagten juristisch nicht konkret greifbar sind. Ein fader Nachgeschmack bleibt allemal. Da hat sich eine Reihe deutscher Topmanager ziemlich ungeniert bedient, kann vor Gericht dafür aber nicht zur Verantwortung gezogen werden. Wenn der frühere Mannesmann-Chef Klaus Esser nun glaubt, damit seine 'Rufschädigung' wieder korrigieren zu können, dann zeugt dies auch von einer teilweisen Entfernung von den Realitäten."

Für die Berliner Zeitung NEUES DEUTSCHLAND hat das Düsseldorfer Urteil auch positive Folgen:

"Der Prozess hat die nicht nur skandalöse, sondern angesichts von Sozialabbau und allgemeinen Sparappellen geradezu zynische Selbstbedienungsmentalität in den Vorstandsetagen der Konzerne offen gelegt. Trotz Freispruchs dürfte es dort künftig etwas ungemütlicher zugehen. Auch wenn die geheuchelte Empörung der arbeitgebernahen großen Politik wohl kaum zu schärferen Gesetzen führen wird - Abfindungen und Gehälter jenseits von Gut und Böse werden kritischer beäugt und schwerer durchsetzbar sein."

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU wundert sich über die deutsche Unternehmenskultur:

"Freispruch ist nicht Freispruch. Mögen die Angeklagten auch einen juristischen Sieg davon getragen haben, moralisch gelten sie wegen Gier und Beihilfe als Verlierer. Die Düsseldorfer Kammer sei kein Scherbengericht und habe keine Werturteile zu fällen, bemerkte Koppenhöfer, die sich gleichwohl nicht den Hinweis verkneifen konnte, es bestehe Anlass zur Verwunderung über die deutsche Unternehmenskultur. Das ist noch höflich ausgedrückt. Auf vielen Führungsetagen geht es längst nicht mehr um Kultur, sondern nur noch um Knete."

In Straßburg bestätigte das Europa-Parlament Jose Manuel Barroso als künftigen Präsidenten der EU-Kommission. Für die OSTTHÜRINGER ZEITUNG aus Gera war dies ein wichtiges Signal:

"Dass eine überraschend große Mehrheit der Abgeordneten dem konservativen Portugiesen nicht den Weg ins Brüsseler Spitzenamt verbauen wollte, ist kein stillschweigendes Einverständnis mit diesem Teil einer europäischen Scheindemokratie. Es ist vielmehr ein Sieg der Vernunft. Eine Schlappe Barrosos gestern hätte die EU in die nächste Krise gestürzt und erneut Wochen der Selbstfindung gekostet. Das organisierte Europa hat jedoch keine Zeit mehr für institutionelle Muskelspiele. Die notorische Konjunkturschwäche, die Budget-Verhandlungen, die Volksabstimmungen über die Verfassung, es gibt zu viele Themen, die keinen Aufschub dulden."

Auch die Rostocker OSTSEE-ZEITUNG sieht Barroso vor großen Aufgaben:

"Der Portugiese Barroso ist wahrlich nicht zu beneiden. Er muss der EU jene Legitimation wiedergeben, die spätestens seit der Europawahl arg beschädigt ist. Wenn Barroso dem größer gewordenen, zugleich aber auseinander driftenden Europa keine neue Vision geben kann, wird das Desinteresse vieler Bürger in offene Ablehnung umschlagen. Dazu aber muss der Portugiese erst einmal den Makel loswerden, dass er bestenfalls zweite Wahl und ein Produkt simpler Interessenpolitik ist."