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Pressestimmen von Freitag, 19. Juli 2002

(Roswitha Schober)18. Juli 2002

Entlassung des Verteidigungsministers Rudolf Scharping / Neue Runde Eon-Ruhrgas / Urteil zur Spekulationssteuer

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Das vorrangige Kommentarthema der Tageszeitungen an diesem Freitag ist die Entlassung des Verteidigungsministers Rudolf Scharping. Beachtung finden auch die neue Runde im Streit um die Ministererlaubnis zur Übernahme 'eon' - 'Ruhrgas' und das Urteil des Bundesfinanzhofes zur Spekulationssteuer.

DIE WELT hält Scharping für das Bauernopfer und schreibt:

"Ein schauriger Auftritt. Rudolf Scharping wird gefeuert, und der Kanzler findet für seinen Verteidigungsminister kein freundliches Wort. Was als Befreiungsschlag für Gerhard Schröder gedacht war, gerät zum beklemmenden Höhepunkt einer politischen Götterdämmerung. Arbeitslosenzahlen, Spendenaffäre, Babcock-Pleite, Telekom-Krise - im Kanzleramt wusste man, dass es Matthäi am Letzten ist mit dem Ansehen des Kanzlers und seiner Regierung; dass jetzt Handlungsstärke demonstriert werden muss."

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU ist der Auffassung, dass das, was nach entschlossenem Handeln des Kanzlers aussieht, in Wirklichkeit fehlenden Managementqualitäten entspringt, und kommentiert:

"Natürlich hätte er Scharping vor einem Jahr feuern müssen, als der auf der Sommerbühne mit seinen Plantschfotos den verliebten Toren gab. Das Bild vom Akteur Schröder verblasst. Der Kanzler handelt nun, weil er handeln muss. Das trifft für den Arbeitsmarkt ebenso zu wie für die Entlassung Scharpings. Oder weil er glaubt zu müssen, wie die Ablösung des Telekomchefs unterstreicht. Kandidat Stoiber zündelt im Streitgespräch, und der Kanzler geriert sich ohne Not als
Getriebener."

Wahltaktik vermutet die FRANKFURTER ALLGEMEINE hinter Scharpings Entlassung und führt aus:

"Die Trennung von ihm, so scheint Schröder zu hoffen, könnte [...] in der Öffentlichkeit positiv gewertet - und honoriert werden. Schröder sieht seine Erfolgschancen bei der Bundestagswahl offenkundig als hoch gefährdet an. Er nimmt es hin, durch sein Handeln eine Regierungskrise eingestehen zu müssen."

Die BERLINER ZEITUNG ist der Auffassung, dass es so kurz vor der Wahl keine Chance gibt, einen personellen und politischen Neuanfang zu inszenieren, und schreibt weiter:

"Plausibel wäre es deshalb gewesen, dass Schröder das Amt bis zum Ende der Legislaturperiode selbst führt, im Nebenjob gewissermaßen. Damit allerdings hätte der Kanzler den Eindruck, er stehe einer Regierung auf Abbruch vor, noch verstärkt. Also muss doch noch ein Neuer her - er wird nun Peter Struck heißen. Unter den gegebenen Umständen hat Schröder diejenige Personalentscheidung getroffen, die mit Blick auf die Wahl im September am wenigsten falsch ist."

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG beleuchtet das persönliche Verhältnis Schröder - Scharping und führt aus:

"Schröder [...] hatte [...] nicht die Kraft, Scharping rechtzeitig abzulösen. Mit dem in Berlin üblichen Zynismus hieß es stets, die Terroranschläge des 11. September hätten Scharping gerettet. Dies stimmt nur zum Teil. In der Umgebung des Kanzlers weiß man, dass Schröder gegenüber 'dem Rudolf' eine für ihn völlig untypische Beißhemmung hatte."

Themenwechsel.

Der Bundesfinanzhof hält die Besteuerung von Spekulationsgewinnen aus Wertpapieren für verfassungswidrig. Sein Urteil kommentiert der NORDBAYERISCHE KURIER:

"Der Bundesfinanzhof hat Sinn für die Realität bewiesen. Die stellt sich so dar, dass die Masse der Kleinspekulanten es mit der Steuerehrlichkeit wohl nicht so genau nimmt, wenn es um Spekulationsgewinne geht. Wer mit viel Risiko an der Börse seinen Reibach macht, sieht oft nicht ein, dass er mit dem Staat teilen soll. Weil sich daran auch künftig nichts ändern dürfte, ist die Spekulationssteuer nicht der Weisheit letzter Schluss. Denn sie läuft letztlich darauf hinaus, dass der Ehrliche der Dumme ist, weil der Staat nicht effektiv kontrollieren kann."

Zum Schluss die Meinung der FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND zur Bemühung von 'eon' und 'Ruhrgas', den Energiehändler 'Ampere' zur Rücknahme seiner Klage gegen die Ministererlaubnis zu zwingen. Das Blatt schreibt:

"Es ist das gute Recht der beiden Konzerne, auf diese Weise ihren Einfluss geltend zu machen. Geschickt ist es nicht. Die Strategie, mögliche Kläger entweder vom Markt zu drängen oder ihnen die Klage abzukaufen, wird nicht aufgehen. Ein oder zwei Kläger werden immer bleiben. Jetzt machen Eon und Ruhrgas vor, welchen Einfluss sie mit Hilfe einer solchen Beteiligung ausüben können. Wer seiner Tochtergesellschaft Personalentscheidungen diktiert, wird ihr womöglich auch vorschreiben, nur noch bei Ruhrgas einzukaufen. Das ist eine Gefahr für die Marktwirtschaft."