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Pressestimmen von Freitag, 17. Juni 2005

Stephan Stickelmann16. Juni 2005

Europadebatte im Bundestag / EU-Krisengipfel in Brüssel / Koalitionsvetrag in Nordrhein-Westfalen

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Europa ist ein zentrales Kommentarthema der Tageszeitungen an diesem Freitag. Dabei beschäftigen sie sich sowohl mit der Bundestagsdebatte zur Europapolik als auch mit dem EU-Krisengipfel in Brüssel. Einige Zeitungen befassen sich zudem mit dem schwarz-gelben Koalitionsvertrag in Nordrhein-Westfalen.

Die PFORZHEIMER ZEITUNG hat vor allem die Parlamentsrede von Unions-Kanzlerkandidatin Merkel analysiert und kommt zu dem Schluss:

"Das hat Europa gerade noch gefehlt: Während die Europäische Union in der größten Krise ihres Bestehens ums Überleben ringt, schlägt die Opposition im Bundestag erneut Türkei-Alarm. Wer Angela Merkel reden hört, gewinnt den Eindruck, die Türkei sei entscheidend für das Schicksal der EU. Genau solche Debatten sind eines der großen Probleme der EU. Statt den Nutzen der Union zu erklären, kochen Regierungen und Parteien in den Nationalstaaten ihr eigenes Süppchen. Die EU muss ihre heutigen Probleme lösen, nicht jene, die durch einen möglichen Türkei-Beitritt in frühestens zehn Jahren entstehen."

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU gibt allerdings zu bedenken:

"Nicht allein um die Türkei und den Rest an Osterweiterung geht es, wenn CDU und CSU nun immer deutlicher Abstand suchen zur real existierenden EU. Am Donnerstag im Bundestag hat Angela Merkel tiefer blicken lassen. Wider die 'innere Überdehnung' EU-Europas, für mehr 'Selbstbeschränkung' will sie stehen. Für ein Europa, in dem Wachstum und Wirtschaft der Maßstab der gemeinschaftlichen Dinge sind, während der ungeliebte Rest unter Bürokratieverdacht steht. In Merkels Wirtschaftseuropa ist Entstaatlichung angesagt, zu Hause wie in Brüssel."

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG lenkt den Blick auf Bundeskanzler Schröder und merkt kritisch an:

"Schröder hat es wohlwollend hingenommen, dass sein Finanzminister den Stabilitätspakt außer Kraft gesetzt hat; während der großen Irak-Krise hat er nichts unternommen, um der Spaltung der Europäer entgegenzuwirken. Er hat sich mit der Brüsseler Kommission angelegt, wo es ihm passte - ihrer Autorität hat das nicht gut getan. Und er hat energischer als viele andere die Überdehnung der EU betrieben - die Aufnahme der Türkei. Es ist offenkundig, dass diese Aussicht viele europäische Wähler zur offenen Revolte treibt oder treiben würde."


Der TAGESSPIEGEL aus Berlin kommentiert das EU-Gipfeltreffen - Zitat:

"Tony Blair hat Recht, wenn er sagt, dass es bei den Finanzverhandlungen nicht nur darum gehen kann, wer wie viel Geld in die EU-Kasse überweist und wer wie viel daraus zurückerhält. Jetzt muss die Frage gestellt werden: Welches Europa wollen wir eigentlich? Möchten wir weiter erhebliche Teile des Haushalts für die Strukturen der Vergangenheit ausgeben, sprich: zur Subventionierung des Agrarsektors? Oder muss nicht viel mehr Geld in die Zukunft investiert werden, in Forschung und Bildung etwa, um Europa fit für die Globalisierung zu machen?"

Der Kommentator des BADISCHEN TAGBLATTS - es erscheint in Baden-Baden - hat für sich schon eine Antwort gefunden:

"Der nationale Schrebergarten taugt nirgendwo mehr als Rückzugsstätte. Allein die EU ist groß und stark genug, Sozialleistungen und Freiheitsrechte, die vielen im Alltag mittlerweile selbstverständlich geworden sind, im globalen Wettbewerb aufrechtzuerhalten und langfristig zu verteidigen."


Und damit nach Nordrhein-Westfalen, wo CDU und FDP ihren Koalitionsvertrag unter Dach und Fach gebracht haben. Die AACHENER ZEITUNG meint:

"Dass so etwas in dieser Republik noch möglich ist, überrascht: Ohne öffentliche Debatte, erst recht nicht mit Streit sind die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und FDP über die Düsseldorfer Bühne gegangen. Diese konservativ-liberale Euphorie ist natürlich durch die Irrungen und Wirrungen in Berlin begünstigt worden. Weitgehend unbeobachtet von der Öffentlichkeit, ja sogar der veröffentlichten Meinung, konnten Rüttgers & Co. in relativ kurzer Zeit ein beachtliches Koalitionspapier auf die Beine stellen."

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG warnt allerdings vor zu viel Optimismus und begründet dies wie folgt:

"Es gehen auch einmal die Zeiten zu Ende, in denen man für alles Übel Rot-Grün verantwortlich machen kann. Wenn dann auch in Berlin eine schwarz-gelbe Koalition regieren sollte, wird sich in Düsseldorf niemand darauf hinausreden können, der Bund sei an allem schuld. Es wird der Tag kommen, an dem die Menschen fragen werden, was der historische Machtwechsel gebracht hat. Und bis dahin vergehen gewiss nicht mehr vier Jahrzehnte - wie zuletzt bei der SPD in Nordrhein-Westfalen."