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Pressestimmen von Freitag, 17. Februar 2006

Siegfried Scheithauer16. Februar 2006

Abu-Ghraib-Fotos / EU-Dienstleistungsrichtline

https://p.dw.com/p/801p

Neue Fotos und Videoaufnahmen vom Folterskandal im berüchtigten US- Gefängnis Abu Ghraib in Bagdad haben weltweit für Aufsehen gesorgt. Menschenrechtsexperten der Vereinten Nationen und das Europäische Parlament fordern zudem, das US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba sofort zu schließen. Die Leitartikler der deutschen Tagespresse analysieren Bilder und Realitäten:

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE fasst es so zusammen:

"Im Irak geht es - wohlwollend betrachtet - um Ausschreitungen, für die die politische Führung nichts kann und von denen die höchsten militärischen Führer nichts wußten. Guantanamo dagegen wurde aus politischen Gründen als Raum stark verdünnter Rechtsstaatlichkeit

erst geschaffen. (...) Beide Fälle haben eine dramatische Gemeinsamkeit: Nachhaltig verzerren und verdunkeln sie das Bild Amerikas in der islamischen Welt und konterkarieren damit Washingtons Bemühen, gerade dort den Rechtsstaat und die Demokratie voranzubringen."

Das MINDENER TAGEBLATT resümiert:

"Das Internierungslager Guantanamo war von Anbeginn seiner Existenz ein schwerer Webfehler im Krieg gegen den Terror. Wer zur Verteidigung von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten ins Feld zieht, darf seine eigenen Maßstäbe nicht in Zweifel rücken lassen. (...) Selbst den mit guten Gründen Verdächtigten kann ein Rechtsstaat nicht das Recht vorenthalten. Tut er es doch, riskiert er seine Legitimation, nach außen wie nach innen."

Die PFORZHEIMER ZEITUNG versucht folgende Einordnung:

"Das Auftauchen der neuen Bilder vertieft den Graben zwischen vielen Muslimen und der westlichen Welt. Bessere Argumente gegen den Westen und seine Politik werden dessen Gegner so schnell nicht finden. Die Folter-Fotos sind Wasser auf die Mühlen jener fanatischen Islamisten, die den weiter schwelenden Streit um die Mohammed-

Karikaturen am liebsten zum Kampf der Kulturen machen würden."

Die OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock kommentiert:

"Die Veröffentlichung der Belege für Menschenverachtung auf Drängen einer US-Bürgerrechtsorganisation stellt quasi eine Kerze für mehr Gerechtigkeit auf ein volles Pulverfass. Gleichzeitig forderten UN-Experten die Schließung des US-Gefangenenlagers Guantanamo. Manche Häftlingsbehandlung sei mit Folter gleichzusetzen, schätzen sie ein. Die Kerze brennt runter. Für Misshandlungen darf es keinen Spielraum mehr geben - im Westen, Osten oder sonstwo."

Die LANDESZEITUNG aus Lüneburg fragt:

"Mit welchem Recht haben die angelsächsischen 'Kreuzfahrer' den Folterer Saddam gestürzt, wenn jetzt in ihrem Namen gefoltert wird? Videos prügelnder britischer Soldaten und die Exzesse amerikanischer Folterknechte in Guantanamo und Abu Ghraib diskreditieren die Werte der Demokratie in der arabischen Welt auf Dauer. Die Gefahr wächst, dass aus dem Kulturkampf ein Kampf der Kulturen wird."

Themenwechsel. Nach zweijährigem Streit hat das Europaparlament die EU-Dienstleistungsrichtlinie in entschärfter Form auf den Weg gebracht. Die einen erhoffen sich eine Liberalisierung des Marktes, die anderen fürchten Lohn- und Sozialdumping. Auch dazu Meinungen deutscher Tageszeitungen:

Die OSTTHÜRINGER ZEITUNG aus Gera bleibt skeptisch:

"Aufgeschreckt vom vermeintlichen Europaverdruss stutzten die EU-Parlamentarier die Dienstleistungsrichtlinie nun eilig zu einem Minimalkompromiss der Marke Marktöffnung light zusammen. Immerhin: Er wird einige schikanöse Hürden abbauen, mit denen sich die Mitgliedsstaaten noch immer abschotten. Ein großer Wurf wie einst beim freien Waren- und Kapitalverkehr kann aus dieser Vorlage gleichwohl nicht wachsen. Aus Furcht vor dem Bürgerzorn wollte man das delikate Thema bloß schnell vom Tisch haben."

Und die RHEIN-NECKAR-ZEITUNG aus Heidelberg mahnt:

"Keine Frage: Der Gedanke eines in möglichst vielen Fragen einheitlich konditionierten Europa entbehrt nicht eines gewissen Charmes. Das kann aber nicht heißen, dass sich die sozialen und privatwirtschaftlichen Standards auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner vereinen. Ein Ein-Euro-Europa? Nein, besten Dank. Und wer die Früchte

einer durchlässigen Ökonomie ernten will, der möge dann bitte auch die sozialen Lasten mittragen."

Die FRANKFURTER NEUE PRESSE verfolgt Ursachen und Spuren der Einigung von Straßburg bis nach Berlin:

"Die Abänderung der ursprünglich eher 'liberalen' Dienstleistungs-Richtlinie ist auch ein Produkt der großen Koalition in Berlin. Sie beförderte die Zusammenarbeit von deutschen Sozialdemokraten und Union, die ihre Fraktionen im EU-Parlament entscheidend mitprägen. Während es sich die SPD als Regierungspartei auch in Straßburg nicht

leisten konnte, einfach nur 'Nein' zu sagen, setzt umgekehrt die Union, seit sie bei der Bundestagswahl mit einem blauen Auge davonkam, zunehmend auf die soziale Gerechtigkeit. Herausgekommen ist ein Kompromiss."

Die ALLGEMEINE ZEITUNG aus Mainz sieht schon allein in der Herangehensweise der Abgeordneten einen Fortschritt:

"Mit ihrer Entscheidung gegen das Herkunftslandprinzip haben die Parlamentarier gezeigt, dass sie die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Deshalb ist die EU-Richtlinie weder der große Wurf noch die erhoffte Job-Maschine, aber ein richtiger Schritt auf dem mühsamen Weg Europas, zumindest ein paar verlorene Bürger wieder einzusammeln."

Auch die KÖLNISCHE RUNDSCHAU glaubt einen "Wechsel in der Debattenkultur" erkannt zu haben und schreibt versöhnlich:

"Selten zuvor wurde ein Brüsseler Projekt so rechtzeitig, so emotional und kontrovers von Bürgern, Verbänden, Gewerkschaften und nationalen Politikern diskutiert wie die Marktöffnung im Servicesektor. Wer sich eine wache europäische Öffentlichkeit wünscht, kann sich über diese Anteilnahme nur freuen."