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Pressestimmen von Freitag, 13. Oktober 2006

Ute Wagemann 12. Oktober 2006

Krise bei Airbus / Literatur-Nobelpreis an türkischen Schriftsteller Pamuk

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Auf dem deutsch-französischen Ministerrat gab es vor allem ein Thema: die Krise beim europäischen Flugzeug-Herstellers Airbus. Frankreichs Präsident Chirac und Bundeskanzlerin Merkel sagten, sie wollten die Probleme gemeinsam bewältigen. Zeitgleich besuchte der neue Airbus-Chef Gallois das Werk in Hamburg. Die Kommentatoren zahlreicher Tageszeitungen in Deutschland fragen sich, mit welchen Konsequenzen zu rechnen ist. Ein weiteres Thema in vielen Kommentaren der deutschen Presse ist die Vergabe des Literatur-Nobelpreises an den türkischen Schriftsteller Orhan Pamuk.

Die OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock kritisiert die Informationspolitik des neuen Airbus-Chefs:

"Fliege ich, oder fliege ich nicht? Das ist die Frage, auf deren Beantwortung die gut 22.000 Airbus-Beschäftigten in Deutschland seit Wochen warten. Doch statt eine klare Aussage zu treffen, ließ Louis Gallois die Techniker und Ingenieure an der Elbe auch gestern wieder im Nebel zurück. Dass es «schmerzhafte Jobverluste» geben wird, hatte er bereits zwei Tage zuvor verkündet. Dass der Airbus-Chef aber jetzt auch noch zu einem Wettbewerb - einem ums Überleben - zwischen den Airbus-Standorten aufruft, ist ein schäbiges Spiel mit der Angst."

Die MÄRKISCHE ALLGEMEINE in Potsdam überlegt, wie sinnvoll eine Beteiligung des Bundes am Mutterkonzern EADS sein kann:

"Ökonomisch gesehen wäre es am besten, wenn sich die drei EADS- Partner Spanien, Frankreich und Deutschland komplett heraushalten und Beschlüsse über Standortverlagerungen allein dem Management überlassen würden. (...) Doch mit einem Rückzug der Staaten ist nicht zu rechnen, und die Regierung in Paris wird ihren Einfluss als Eigentümerin sicher geltend machen, um Jobs im eigenen Land zu retten. Deshalb kann ein deutsches Engagement sinnvoll sein, um die Belastungen gerecht zwischen den Ländern zu verteilen. "

Die NEUE RUHR ZEITUNG aus Essen denkt nicht, dass der Staat eingreifen sollte:

"(...) Rein ökonomisch wäre eine EADS-Beteiligung des deutschen Staates (...) keine Lösung der Probleme. Schließlich krankt Airbus gerade am politischen Gezerre um Strategien und Standorte. Merkels Dilemma: Die Politik wird so oder so mit in der Kritik stehen, falls es zu massenhaftem Stellenabbau kommt."

Auch die FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND aus Hamburg hält nichts von einem Einsatz des Staates:

"Zeitmaschinen, die einen in die Vergangenheit zurückversetzen, gibt es nur im Film. Dachte man. Jetzt stellt sich heraus: Es gibt so eine Maschine auch in der Wirklichkeit. Sie heißt EADS. In dem Moment, in dem der Luftfahrtkonzern in die Krise gerät, verfällt der Staat in industriepolitischen Aktionismus vergangen geglaubter Zeiten. Das ist nicht nur ein Bruch mit den richtigen wirtschaftspolitischen Grundsätzen der letzten Jahre. Es ist auch kein geeignetes Mittel gegen die Airbus-Krise."

Die Vergabe des Literatur-Nobelpreises an den türkischen Schriftsteller Orhan Pamuk ist in seiner Heimat und in der EU begrüßt worden. Auch die ausgewählten Kommentare der deutschen Tageszeitungen freuen sich größtenteils über den Preisträger.

Die NEUE RHEIN-ZEITUNG aus Essen würdigt Pamuk als außergewöhnlich scharfsichtigen Schriftsteller:

"Natürlich ist der Literatur-Nobelpreis auch ein politischer Preis. Literatur ist immer auch politisch, sogar - und manchmal gerade dann -, wenn sie sich der Politik verweigert. Aber Orhan Pamuk hat diesen Preis nicht bekommen, weil es gerade politisch opportun war im Kampf der Kulturen. (...) Pamuk hat den Literatur-Nobelpreis bekommen, weil er ein scharfsichtiger Grenzgänger ist zwischen Orient und Okzident, ein großartiger Erzähler, der eine ganz eigene, ganz leise, malerische Sprache für die besondere Geschichte und die besonderen Geschichten seiner reichen Kultur gefunden hat."

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG sieht Pamuk vor allem als Autor, der sich westlichen Werten verschrieben hat:

"(...)Er ist der Autor der modernen, amerikanisierten jungen Eliten von Ankara und Istanbul - wie gut, daß es diese Eliten gibt! Sie sind, wie auch Pamuk selbst, die äußerste Front unseres westlichen Lebensstils und seiner Überzeugungen. Nicht nur wir müssen den Islam verstehen. Das tun wir ja in Wahrheit unentwegt - bis hin zur Selbstaufgabe. Die islamischen Kulturen müssen sich endlich bemühen, uns zu verstehen."

Die politische Bedeutung des Literaten hebt das HANDELSBLATT aus Düsseldorf hervor:

"Mit Pamuk wird ein großer türkischer Romancier geehrt, aber auch ein Verteidiger der offenen Gesellschaft, der Meinungsfreiheit und der europäischen Integration gegen islamistische Eiferer. Für Ankara ist die Entscheidung ein zweischneidiges Lob. Zwar wird erstmals ein Türke ausgezeichnet, aber auch ein Autor, der in Opposition zur islamisch orientierten Regierung und zum Militär steht. Er fordert eine offene Auseinandersetzung mit den Morden an Armeniern und Kurden im Osmanischen Reich. Die brachte ihn wegen Beleidigung des Türkentums vor Gericht."

Die LÜBECKER NACHRICHTEN freuen sich, weil ein populärer Schriftsteller geehrt wird:

"Pamuks Bücher sind in mehr als 100 Ländern erschienen, sie sind trotz ihres hohen literarischen Ranges überaus lesbar und spannend auch das darf Literatur sein. Man kann nur hoffen, dass der Nobelpreis Orhan Pamuks Leben in der Türkei sicherer macht. Er (...) hat es immer schwerer gehabt in den letzten Jahren (...). Aber Pamuk darf sich Hoffnungen machen: Einen Nobelpreisträger sperrt man nicht so leicht wegen Herabsetzung des Türkentums ein."