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Pressestimmen von Freitag, 12.12.2003

zusammengestellt von Susanne Eickenfonder 14. Dezember 2003

Wende im Terrorprozess / Razzia Kalifatsstaat / Ringen um EU-Verfassung

https://p.dw.com/p/4RQZ

Die überraschende Freilassung des Angeklagten beim Hamburger Prozess um die Terroranschläge vom 11. September und die Großrazzia gegen die verbotene Vereinigung 'Kalifatsstaat' - das sind die Themen der Kommentatoren der deutschen Tagespresse.

Zur Aufhebung des Haftbefehls für den Marokkaner Abdelghani Mzoudi schreibt die STUTTGARTER ZEITUNG:

"Das Oberlandesgericht Hamburg hat ihn freigelassen, aber noch lange nicht freigesprochen. Die Entscheidung entlastet Mzoudi noch nicht; die vom Bundeskriminalamt übermittelte, höchst ominöse Aussage eines formal ungenannt bleibenden Zeugen wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Die Richter sind jetzt allerdings im Zweifel, ob sie die vorgeworfenen Taten auch nachweisen können. Diese Beweisschwierigkeiten haben jene zu verantworten, die wichtige Zeugen sperren und nicht aussagen lassen, obwohl diese zur Aufklärung beitragen könnten."

In der FRANKFURTER RUNDSCHAU ist zu lesen:

"Fragwürdig ist nach jetzigem Ermittlungsstand nicht die Freilassung Mzoudis, sondern die Art und Weise, wie mancherorts mit Beweismaterial umgegangen wird... Da sitzt in den USA der Hauptverdächtige Binalshibh und plaudert frei von der Leber weg, aber das Gericht bekommt von seinen Aussagen nichts zu sehen. Als aber diese Aussagen - wie am Donnerstag offenbar geschehen - endlich ans Licht der Öffentlichkeit gelassen werden und sich als klar entlastend herausstellen, fällt der Bundesanwaltschaft nichts anderes ein als der Hinweis, der Haupttäter und Zeuge Binalshibh habe eben das Tricksen beim Verhör gelernt."

Der GENERAL-ANZEIGER aus Bonn meint:

"Es war eine faustdicke Überraschung und eine höchst unerfreuliche.. Eine nicht genau identifizierte Person, wahrscheinlich der Anschlagsplaner, wusch den freigelassenen Beschuldigten per Aussage sauber. Wie glaubwürdig ist eine solche Aussage? Man weiß, dass die Terroristen in Afghanistan auch im Vertuschen nach einer Festnahme trainiert wurden, genauer im Lügen...."

Mit der bundesweiten Razzia gegen den 'Kalifatsstaat' von Metin Kaplan befasst sich der BERLINER KURIER:

"Was uns der 'Kalif von Köln' bietet, ist rotzfrech. Seine islamistische Organisation wurde verboten. Metin Kaplan schert das einen feuchten Kehricht. Er lässt weiter Rekruten für seinen Gottesstaat anwerben. Er macht weiter, als hätte er niemals im Gefängnis gesessen, als drohte ihm nicht die Abschiebung...Heilig ist ihm nur sein Kalifatstaat, nicht aber Gesetze seines Gastlandes."

Die RHEINPFALZ aus Ludwigshafen kommt zu dem Schluss:

"Mit ihrer beispiellosen Großrazzia haben die Sicherheitsbehörden unmissverständlich klar gemacht, dass sie nicht an Kaplans Rückzug ins Private glauben. Offenbar haben sie genügend Belege dafür, dass sich seine Anhänger im Dunstkreis der Terrorszene bewegen und so die innere Sicherheit Deutschlands bedrohen."

Der MANNHEIMER MORGEN weist darauf hin:

"Der politische Islam muss differenziert betrachtet werden, ohne ihn pauschal zu kriminalisieren. Mit militanten Strömungen kann man jedoch keinen Dialog führen. Wer in Deutschland puren Hass säen will, darf nicht auf die Toleranz einer pluralistischen Gesellschaft spekulieren...Wie schwer sich jedoch der Rechtsstaat mit islamistischen Extremisten tut, beweisen die Probleme, Kaplan in die Türkei auszuweisen."

Abschließend noch die OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock, die auf das politische Gezerre im Vorfeld des Gipfels zur geplanten EU-Verfassung eingeht:

"In diesem Machtkampf geht es vor allem um die künftigen Stimmverhältnisse zwischen großen und mittleren Staaten. In Polen sitzen die Ängste tief. Das Land - in seiner Geschichte immer wieder geteilt und besetzt - will nicht schon wieder zum Spielball großer Mächte werden. Es ist daher fraglich, ob Warschau eventuell mit größeren Zuwendungen aus dem Strukturfonds oder einer höheren Zahl von Kommissaren und Abgeordneten umzustimmen ist. Wenn aber ein derartiger Kuhhandel nicht gelingt, ist das historische Projekt einer europäischen Verfassung vorerst gescheitert. Europa droht nach der Zerreißprobe um den Irak-Krieg die tiefste Krise seiner Geschichte."