1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Pressestimmen von Freitag, 11. Juli 2003

zusammengestellt von Bernhard Kuemmerling10. Juli 2003

Europäische Verfassung // Nach der Urlaubsabsage des Kanzlers

https://p.dw.com/p/3qZf

Die Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen befassen sich an diesem Freitag schwerpunktmäßig mit dem Verfassungs-Entwurf des EU-Konvents. Ein weiteres Thema ist das deutsch-italienische Verhältnis nach der Urlaubsabsage von Bundeskanzler Schröder.

Zur EU-Verfassung schreibt die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG:

"Die Europäische Union, das bei den meisten Europäern so unbeliebte, in Brüssel brütende bürokratische Wesen, steht vor einer Revolution. Nach knapp anderthalb Jahren zähen Ringens um trockene Materie ist es vollbracht: Erstmalig liegt der Entwurf für eine europäische Verfassung vor. Nun braucht niemand vor lauter Begeisterung gleich in die neue EU-Beethoven-Hymne 'Ode an die Freude' einzustimmen, doch die Arbeit des Konvents unter Leitung des französischen Ex-Präsidenten Giscard d'Estaing verdient Anerkennung."

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG meint:

"(...) Ein Dokument von mehreren hundert Seiten mit mehr als 300 Artikeln wird unter den EU-Bürgern schwerlich zum Renner werden; viele Regelungen müssen ihre Praxistauglichkeit erst beweisen; (...)Doch eine Verfassung für (dem Anspruch nach) alle Europäer kann, wie Außenminister Fischer es genannt hat (...) in der Tat nur ein 'historischer Kompromiss' sein: zwischen den beteiligten Staaten, auch zwischen dem unvermeidlichen Realitätssinn und dem Ausgreifen ins Utopische, das für die europäische Integration von Beginn an charakteristisch und notwendig war."

Der FRÄNKISCHE TAG aus Bamberg schreibt:

"Die schlagartige EU-Erweiterung zum 1. Mai nächsten Jahres bietet mehr Chancen als Risiken. Politisch ist diese Expansion wünschenswert und richtig, wirtschaftlich ist sie noch vertretbar und machbar; finanziell ist das Reform- und Aufbauwerk auch in dieser Zeit der knappen Staatskassen zu meistern, wenn die nationalen Egoismen der alten und die Wohlstandsträume der neuen Mitglieder zurückgeschnitten werden."

In den WESTFÄLISCHEN NACHRICHTEN aus Münster lesen wir:

"Beim Ausbau von Mehrheitsentscheidungen ist der Konvent auf halbem Weg stehen geblieben - fast erwartungsgemäß und trotz des Irak- Debakels: eine gemeinsame Außenpolitik ja, aber weiterhin einstimmige Beschlüsse in diesem Bereich. Die 25 EU-Staaten sind längst nicht so weit, sich die nationale Butter vom Brot nehmen zu lassen. Und auch die Rechte des EU-Parlaments sind nur unzulänglich gestärkt worden. Kurzum: Das Machbare ist erreicht."

Die Entscheidung von Bundeskanzler Schröder, seinen Italien-Urlaub abzusagen, erhitzt weiter die Gemüter.

Dazu schreibt der Kölner EXPRESS:

"Sind denn die Polit-Hitzköpfe nicht mehr ganz bei Verstand? Tun wir Rabauken wie Berlusconi und Stefani nicht ein bisschen zu viel der Ehre an, in dem wir sie ernstnehmen? Die Diskussion um ihre sicherlich schlimmen Pöbeleien und die Urlaubsabsage des Kanzlers hat mittlerweile eine Dimension erreicht, die an die Zeiten des Kalten Krieges erinnert. Sogar von Staatskrise ist bereits die Rede. Und das mitten im vereinten Europa auf Kosten von Menschen, die die Berlusconis dieser Welt nicht zu ihrem Glück brauchen. Ohne Rücksicht auf Verluste werden wieder nationalistische Ressentiments und Klischees bemüht, die wir längst für immer in der Mottenkiste wähnten."

Die FRANKFURTER NEUE PRESSE merkt an:

"Die Deutschen hätten keinen Humor? Ein Kanzler allein ist noch kein Gegenbeweis, auch wenn er mit der gewohnten Entschlossenheit die ihm gebührende tragende Rolle in der deutsch-italienischen Boulevard- Komödie an sich gerissen hat: Basta statt Pasta! Deshalb ist es so wichtig und verdienstvoll, dass jetzt alle einschlägig Verdächtigen ihren Part übernehmen. Der fügsame Olaf Scholz sagt tapfer seine Italien-Reise ab und der aufmüpfige Guido Westerwelle fährt aus Daffke nun gerade dahin, wo er sowieso meistens landet: Pasta statt Basta!"

Die STUTTGARTER ZEITUNG meint:

"Schröder könnte vermutlich in Ruhe die Sonne Italiens genießen, wenn er von Anfang an souverän reagiert und die Ausfälle Stefanis als das genommen hätte, was sie sind: eine zu vernachlässigende Größe. Doch eben weil er sich auf Stefani einließ, kam er nicht mehr aus der selbst gestellten Falle heraus. Hätte er nicht abgesagt, hätte er die Schlagzeile fürchten müssen: Zehn Millionen Deutsche beleidigt - Kanzler fährt trotzdem. Auch in Deutschland ist eine schnelllebige Popularitätsindustrie entstanden, deren Mahlwerken sich kaum jemand noch entziehen kann."