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Pressestimmen von Donnerstag, 7. September 2006

Bernhard Kuemmerling6. September 2006

Auslandseinsätze der Bundeswehr / Entführungsfall Kampusch

https://p.dw.com/p/95ZV

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den geplanten Marine-Einsatz im Libanon als Beitrag zu mehr Sicherheit auch in Deutschland verteidigt. In der Generaldebatte des Bundestags sagte die Kanzlerin, angesichts neuer Bedrohungen durch den Terrorismus sei eine strikte Trennung von innerer und äußerer Sicherheit nicht mehr möglich.

Dazu schreibt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG aus München:

"Den bevorstehenden Libanon-Einsatz der Bundeswehr verhandelte die Bundeskanzlerin so, als ginge es um den morbiditätsorientieren Risikostrukturausgleich, um irgendeine Facette der Gesundheitsreform also. Vielleicht war ihr einschläfernd floskelhaftes Reden eine Taktik, um zu verbergen, in welche Gefahren man die Bundeswehr
schickt; es wäre dies verantwortungslose Taktik. In eine militärische Mission von dieser Historizität kann man das Land und seine Soldaten nicht salbadernd geleiten. Wer die, 'Zukunft nicht verbrauchen, sondern gestalten will', so die Kanzlerin in einer merkwürdig eschatologischen Redewendung, sollte selber zu dieser Zukunftsge-
staltung etwas Klares zu sagen haben. Man sucht die eigene Handschrift der Kanzlerin - und findet an deren Stelle leider nur drei Kreuze."

In den KIELER NACHRICHTEN heißt es:

"Die Bundesmarine kann einen Waffenschmuggel auf dem Seeweg nicht verhindern, wenn sie 13 Kilometer vor der Küste patrouilliert. Die Unifil wird den Waffenstillstand nicht sichern können, wenn sie die Hisbollah nicht entwaffnen und die syrisch-libanesische Grenze nicht kontrollieren darf. So bleibt die Friedenstruppe ein zahnloser Tiger. Unter diesen Voraussetzungen hat die Bundeswehr im Libanon nichts
verloren. Die Bundesregierung sollte auf Voraussetzungen für einen sinnvollen Einsatz bestehen oder nein sagen."

Die Münchener ABENDZEITUNG stellt fest:

"Die Anforderungen an die Bundeswehr haben sich dramatisch geändert. Das Militär ist nicht erst seit dem Libanon-Einsatz auf dem Weg zu neuem Selbstverständnis: Vom Landesverteidiger zum globalen Sicherheitsdienstleister. Für Panzerschlachten gegen den 'Iwan in der norddeutschen Tiefebene', wie in den Szenarien des Kalten Kriegs
vorgesehen, wird es hingegen nicht mehr gebraucht. Deshalb gehört die Bundeswehr reformiert. Dass darauf der Ruf nach mehr Geld folgt, ist ein Reflex, logisch ist es nicht: Eine Organisation, die bei einer Personalstärke von 290 000 Mann schon unter Druck gerät, wenn 10 000 davon im Einsatz sind, hat ein Problem."

Und im HANDELSBLATT aus Düsseldorf lesen wir:

"Wer jetzt von einer Flucht der Kanzlerin in die Außenpolitik
spräche, beginge einen schweren Irrtum. Wenn die Regierungschefin so deutlich sagt, dass Deutschland sich nicht heraushalten kann und es nicht einmal abstrakte Kriterien dafür gibt, wo wir militärisch eingreifen und wo nicht, weil jede Krise für sich bewertet werden muss, dann fliegen ihr heute keinerlei Sympathien zu. Das ändert nichts daran, dass man sich zur Innenpolitik, beispielsweise zur Gesundheitsreform, ähnlich klare und mutige Worte gewünscht hätte."

Themenwechsel. Zwei Wochen nach ihrer Flucht aus einem Verlies bei Wien hat die vor acht Jahren entführte Österreicherin Natascha Kampusch in Fernseh- und Zeitungsinterviews über ihren Leidensweg berichtet.

Der MANNHEIMER MORGEN meint:

"Man muss kein Psychologe sein, um die Frage zu beantworten, ob der frühe Gang an die Öffentlichkeit richtig ist. Sicher, finanziell gesehen ist der Zeitpunkt gut gewählt. Jetzt können die Berater mehr Geld für die junge Frau verlangen. Und das braucht Natascha auch, hat sie doch entscheidende Jahre verloren. Aber kann sie wirklich
einschätzen, welche Medien-Lawine auf sie zurollt? Die Antwort lautet nein. Umso unakzeptabler ist die Handlungsweise ihres Betreuerteams."

Der WIESBADENER KURIER kritisiert:

"Am übelsten stößt jenes Argument auf, das Interesse am Schicksal, an der Zukunft des Mädchens heuchelt, wo es um pure Sensationslust angesichts der Umstände ihrer Sklavenhaltung geht. Es handelt sich um dasselbe pervertierte Interesse, das früher mit Elefantenmenschen und ähnlichen Kreaturen Publikum auf Jahrmärkte lockte. Die Spur des
Voyeurismus zieht sich von der rohen Zurschaustellung des
Mittelalters über das Begaffen von Verkehrsunfällen bis zur Rekord-Quote in der multimedialen Massengesellschaft. Der mediale Druck der letzten Tage zeigt auf beschämende Weise: Dem Täter konnte Natascha entkommen, der Öffentlichkeit nicht."

In der OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock heißt es:

"Einen sechsstelligen Betrag soll RTL für die Möglichkeit bezahlt haben, Natascha Kampuschs erstes Fernsehinterview zur besten Werbezeit in deutsche Wohnzimmer zu beamen. Das Geld wird wieder reingekommen sein. Meist wissen die Privatfunker recht genau, wo der Quotenfrosch die Locken hat. Die ARD kam erst Stunden später zum Zuge, musste die Senderechte aber ebenfalls kaufen - mit dem Geld der
Gebührenzahler. Dass Privatsender und Boulevardzeitungen für zugstarke Geschichten große Scheine hinblättern, liegt in der Logik eines Systems, das sein Gewinnstreben mit dem Informationsbedürfnis der Allgemeinheit verknüpft und gern auch bemäntelt. Wenn öffentlichrechtliche Anstalten dabei jedoch als Käufer und Verkäufer von journalistisichen Inhalten mitspielen, ist das fragwürdig."

Abschließend der SCHWARZWÄLDER BOTE aus Oberndorf:

"In Fällen wie diesen zeigt die auf Information total abfahrende
Medienwelt ihre hässlichste Fratze. Ihre abgebrühtesten Vertreter hätten Natascha gejagt - erbarmungslos, bis ans Lebensende und bis ans Ende der Welt. Irgendwann wäre sie zur Beute dieser Meute geworden. Da war es komfortabler, den Lockungen der Geldbündel zu erliegen. Nun ist die Neugier ein Stück weit befriedigt. Manches, worauf Sensationsgeile gewartet haben, hat Natascha nicht gesagt.
Weil es die Öffentlichkeit nichts angeht. Ihr Innenleben zählt dazu. Das gehört respektiert."