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Pressestimmen von Donnerstag, 7. Dezember 2006

Christoph Schmidt6. Dezember 2006

Baker-Bericht veröffentlicht / Amokalarm in Baden-Württemberg

https://p.dw.com/p/9Ub3

Lange hatten sie daran gearbeitet - nun legten die Experten um den ehemaligen US-Außenminister Baker ihren Bericht zur Irak-Politik vor. Er empfiehlt der US-Regierung eine Rückkehr zur Diplomatie, um den Irak aus dem Chaos und die eigenen Truppen bald nach Hause zu führen. Für den Frieden sollten die USA auch das Gespräch mit Syrien und dem Iran suchen, so die Kommission. Ein weiteres Thema dieser Presseschau ist der Amokalarm an baden-württembergischen Schulen.

Der Bonner GENERAL-ANZEIGER urteilt zum Baker-Bericht:

"Die Neokonservativen in Washington wissen sehr wohl um ihr totales Scheitern. Aber Baker fiel die Aufgabe zu, dieses Scheitern öffentlich auszusprechen. Der Rückzug ist jetzt beschlossene Sache. Aber heißt das: Rückzug um jeden Preis? Auch dann, wenn man das Land damit einem entfesselten Bürgerkrieg ausliefert? Wenn Iran, Saudi-Arabien und die Türkei das Machtvakuum nutzen, um ihre jeweiligen Volks-und Glaubensbrüder im Irak zu unterstützen? So sehr sich in den USA auch ein Konsens gebildet hat, diesen Krieg baldmöglichst zu beenden, so klar ist doch, dass man den Irak nicht ins Chaos fallen lassen kann."

Die BERLINER ZEITUNG glaubt nun an einen Kurswechsel des Präsidenten Bush:

"Sehr vieles spricht aber dafür, dass Bush sich den Realisten der amerikanischen Politik unterwerfen wird. Es wird also auch Gespräche mit den Regimes in Iran und Syrien geben, man wird mit der Hamas und der Hisbollah reden müssen. All das sind Zeichen der Hoffnung weniger für den außenpolitisch gescheiterten Präsidenten Bush als für die betroffenen Menschen im Irak und im Nahen Osten."

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG beurteilt die Lernwilligkeit des Präsidenten dagegen skeptischer:

"Einen eleganten Ausweg aus dem Irak kann auch die Kommission nicht aufzeigen. Darauf scheint es auch nicht mehr anzukommen, sondern daruf, sich ins Unvermeidliche zu fügen. Man kann sich nicht so recht vorstellen, dass der auf diesem Ohr bisher taube Präsident spontan das Gehör wiederfindet. Wenn er den Kurs wechselt, dann wird der Wechsel schleichend sein."

Und die NEUE WESTFÄLISCHE aus Bielefeld zieht folgende Bilanz:

"Mehr als 3.000 US-Militärs haben im Irak ihr Leben gelassen, die CIA ist blamiert, der Rechtsstaat USA desavouiert, der ganze Mittlere Osten destabilisiert, unzählige Zivilisten mussten sterben, bis Washington endlich zu der Erkenntnis kam: Wir können im Irak nicht gewinnen. Wie konnte sich ein Präsident so verrennen? Bush glaubte, mit einem Krieg gegen den Terroristenfreund und Unterdrücker Saddam Hussein gleich zwei Ziele erreichen zu können: Terroristen abschrecken und Unterdrückte befreien. Wenn Politiker derart scheitern, treten sie normalerweise zurück."

Themenwechsel: Zahlreiche Schulen in Baden-Württemberg sind am gestrigen Mittwoch von der Polizei durchsucht worden, nachdem ein mutmaßlicher Schüler im Internet einen Amoklauf angekündigt hatte. Es blieb bei der Drohung, doch angesichts der blutigen Schießattacke in Emsdetten vor gerade zwei Wochen geht die Diskussion um Gewalt an deutschen Schulen unvermindert weiter.

Das OBERMAINTAGBLATT aus Lichtenfels sieht die Behörden in einer Zwickmühle:

"Ignorieren sie die Drohung, obwohl sie ernst gemeint war, riskieren sie ein zweites Emsdetten oder gar ein Massaker wie in Erfurt. Geben sie aber eine öffentliche Warnung heraus, wie jetzt in Baden-Württemberg, dann verbreiten sie Furcht und Schrecken, obwohl sie möglicherweise einem üblen Scherz auf den Leim gegangen sind. Ein Unterrichtsausfall wäre noch das geringste Problem. Viel schlimmer ist, dass weitere Nachahmungstäter und Trittbrettfahrer ermutigt werden können."

Die Heidelberger RHEIN-NECKAR-ZEITUNG fragt:

"Müssen nun auch bei uns die Kinder auf dem Weg zum Unterricht künftig erst durch die Sicherheitsschleuse, wie in den USA? Von einzelnen Problemschulen abgesehen wäre das sicher eine übertriebene Reaktion. Denn auch Schulen sind solchen Gefahren nicht schutzlos ausgesetzt. Vorausgesetzt, es gibt dort aufmerksame Lehrer, die eine wirksame soziale Kontrolle bei Jugendlichen ausüben, die ins Raster passen. Und sie müssen bereit sein, dann auch zu intervenieren."

Den FRÄNKISCHEN TAG aus Bamberg beschäftigt die gesellschaftspolitische Dimension der Amokgefahr:

"Es muss der Blick für die Problemfälle unter unseren Jugendlichen geschärft werden. Kinder, die im Elternhaus weder Wärme noch Ansprache finden, entwickeln sich mitunter zu introvertierten und in Einzelfällen auch gefährlichen Einzelgängern. Meist senden sie bewusst oder unbewusst Signale ihrer Einsamkeit und Ausweglosigkeit. Diese zu erkennen und die Ursachen mit Hilfe von Psychologen und Sozialarbeitern zu bekämpfen, das ist die Verpflichtung für unsere Gesellschaft."

Die HESSISCHE/NIEDERSÄCHSISCHE ALLGEMEINE aus Kassel bemerkt hierzu:

"Der ganze Vorgang setzt erneut tief sitzende Ängste und Befürchtungen frei. Die reflexhaft erhobene Forderung nach einem Verbot von Gewaltvideos zeigt, dass die Nerven blank liegen. Denn diese abstoßenden Killerspiele sind ja nicht die eigentlichen Ursachen des Problems. Diese liegen tiefer und haben zu tun mit versagender Erziehung in der Familie und mangelnder Wertevermittlung in unserer Gesellschaft. Und mit einem Schulsystem, das immer wieder junge Menschen produziert, die sich als Versager empfinden und als Rächer gebärden."