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Pressestimmen von Donnerstag, 29. April 2004

Walter Lausch28. April 2004

Antisemitismus-Konferenz in Berlin / Neue Defizitverfahren der EU-Kommission

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Die Antisemitismus-Konferenz in Berlin und die erneute Diskussion über den EU-Stabilitätspakt, das sind die beiden herausragenden Themen auf den Kommentarseiten der Donnerstagsausgaben der deutschen Tageszeitungen. DIE WELT aus Berlin bezeichnet die Berliner Tagung als 'Festival der guten Absichten' und begründet dies so:

"So hat man sich ganz bewusst entschieden, den israelisch- palästinensischen Konflikt auszuklammern, obwohl alle Statistiken zeigen, dass die Zahl der antisemitischen Übergriffe, speziell in Frankreich, nach der zweiten Intifada sprunghaft angestiegen ist. Auch hat man einmal mehr darauf verzichtet, die europäischen Moslems die man immerhin sowohl als eine Hauptquelle des Problems wie auch als potenziellen Teil seiner Lösung ausgemacht hatte mit aufs Podium zu bitten. Auch die Frage, wie viel Meinungsfreiheit man dem Kampf gegen Antisemitismus zu opfern bereit wäre, ist undiskutiert geblieben. Wohlmeinende Selbstgespräche dieser Art, bei denen sich alle nur gegenseitig auf die Schulter klopfen, sind eine fruchtlose Angelegenheit."

Die Bremerhavener NORDSEE-ZEITUNG beschäftigt sich mit der Rau-Rede auf der Konferenz:

"Der Bundespräsident hat eine wohltuend deutliche Rede gehalten. Unmissverständlich nahm Rau Partei für Israel und ermahnte die häufig wohlfeilen Kritiker, sich einmal in die Lage der dort lebenden Menschen zu versetzen. Eindrucksvoll war auch seine Unterscheidung zwischen Freunden Israels, deren Pflicht es sei, auf Missstände hinzuweisen, und solchen, deren Kritik lediglich aus antisemitischen Vorurteilen rührt. Mit dieser klugen Differenzierung hat er all denen die scheinheilige Maske vom Gesicht gerissen, die die zweifellos richtige Feststellung, auch Israel müsse Widerspruch vertragen, dazu nutzen, ihre menschenverachtenden Ansichten zu verschleiern."

Das HANDELSBLATT aus Düsseldorf verteidigt dagegen kritische Äußerungen zur israelischen Regierung:

"Wer Ariel Scharons politische und militärische Taktik gegenüber den Palästinensern in Zweifel zieht, darf nicht automatisch des Antisemitismus geziehen werden. Die schärfsten Kritiker findet man doch in Israels Opposition. Auch der oft zu hörende Vorwurf der Einseitigkeit bei der Beurteilung des Nahostkonflikts sticht nicht. Kein vernünftiger Mensch stellt Israels Recht auf Sicherheit in Frage, kein vernünftiger Mensch heißt palästinensischen Terror gut - und das gilt eben auch für von Scharon angeordnete gezielte Tötungen. Dies ist kein Aufrechnen von Schuld, kein Messen mit zweierlei Maß. Es geht um die jeweils getrennte moralische Wertung. Wer dies als Antisemitismus brandmarkt, um Scharon zu stützen, gerät auf gefährliche Abwege: Er verharmlost den wirklichen Anti- semitismus."

Die Kommission der Europäischen Union hat nun auch wegen übermäßiger Neuverschuldung Defizitverfahren gegen die Niederlande und Großbritannien eröffnet: Dazu schreiben die STUTTGARTER NACHRICHTEN:

"Immer mehr Regierungen in der EU tappen in die Schuldenfalle. Im vierten Jahr der europäischen Konjunkturflauten können auch die sparsamsten Europäer ihr Haushaltsdefizit nicht mehr unter der Grenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts halten. Diese betrübliche Erkenntnis sollte die Fantasie der Brüsseler Währungshüter anregen. Der Stabilitätspakt gehört endlich so überarbeitet, dass er flexibler auf den gesamtwirtschaftlichen Rahmen angewendet wird: Im Boom müssen die Finanzminister stärker zum Sparen angehalten werden, in der Krise aber verbietet sich ein schematisches Exekutieren der Drei-Prozent-Regel."

Der Berliner KURIER erinnert an vergangene Zeiten:

"Das waren noch Zeiten, als Ex-Finanzminister Theo Waigel auf den Tisch haute und sich Rest-Europa zur Brust nahm, weil die Staatsschulden ausuferten. Er hatte Angst um seine harte Mark und fürchtete einen weichen Euro. Deshalb boxte der CSU-Mann die Drei- Prozent-Schuldengrenze durch. Waigel ist weg und braucht sich das Gezeter nicht anzuhören, weil nun Deutschland in der Schuldenfalle zappelt. Heute muss sich der Wirtschaftsriese ausgerechnet von den neuen EU-Zwergen, die Ohren lang ziehen lassen. Wie demütigend. Aber Hochmut kommt eben doch vor dem Fall."

Auch die in Hamburg erscheinende FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND fordert ein Umdenken:

"Die Erfahrung hat gezeigt, dass der Stabilitätspakt zahlreiche Schwächen hat. Nicht nur unter Ökonomen, sondern auch in vielen Finanzministerien wird heute offen darüber geredet, dass der Pakt gleichzeitig viel zu locker und viel zu rigide ist. Seine Überarbeitung gehört dringend auf die europäische Agenda."