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Pressestimmen von Donnerstag, 27. April 2006

Thomas Grimmer 26. April 2006

Deutsch-russische Konsultationen / Berlin klagt auf Bundeshilfen

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Im sibirischen Tomsk haben die achten deutsch-russischen Regierungskonsultationen begonnen. Mit dem Treffen und dem Verhältnis beider Staaten beschäftigen sich die Leitartikler der deutschen Tagespresse. Ein weiteres Kommentarthema ist die Klage Berlins auf Bundeshilfen vor dem Bundesverfassungsgericht.

Bei den Konsultationen in Tomsk sieht der WIESBADENER KURIER Deutschland und Russland als ungleiche Partner:

"Das unter Putin wieder erstarkte Russland sieht sich keineswegs mehr als strategischer oder gar ausschließlicher Partner Deutschlands und Europas (...). Moskau versteht sich vielmehr als eurasische Großmacht, die ihre Interessen in der gesamten strategischen Großregion virtuos zu vertreten weiß. Deutschland ist da nur ein Mitspieler, wenn auch ein sehr wichtiger, allein schon durch das Ausmaß der Wirtschaftsbeziehungen."

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU analysiert:

"Die neue Nüchternheit erfordert eine ernsthaftere Arbeit an der Substanz des deutsch-russischen Verhältnisses, möglichst auf der Grundlage offener Worte. (...) Putin ist, speziell in Nahost und gegenüber Iran, gerade jetzt eine Schlüsselfigur. Wie die Weichen der Weltpolitik gestellt werden, hängt entscheidend davon ab, wie Russland sich bewegt. Und bei allem Unwohlsein gegenüber Druckpotenzialen beim Erdgas: Gerade am Tschernobyl-Jahrestag hilft auch im fernen Tomsk keine heimliche konservative Atom-Sehnsucht über die Realitäten hinweg. Energiesicherheit ist ein zentraler Grund dafür, warum Deutschland auf Dauer ein eigenes Interesse an einem demokratischen Russland hat."

In der OST-THÜRINGER ZEITUNG aus Gera heißt es:

"Merkel muss versuchen, Präsident Wladimir Putin einzubinden, etwa in der Irak-Krise. Illusionen sollte man sich nicht machen. Russland ist ein globaler Akteur. Wie China behalten sich die Russen Sonderwege vor. Sie sind europäische Partner. Doch von ihrer Umarmung bekommt man schnell blaue Flecken."

Die NEUE RUHR-/NEUE RHEIN-ZEITUNG aus Essen schreibt:

"Die politischen Beziehungen zu Russland gehören heute ins Fach Wirtschaftsdiplomatie. Die Zahlen sprechen für sich. Das Handelsvolumen betrug 2005 rund 39 Milliarden Euro mit einem Zuwachs von 24 Prozent. Wir können es uns nicht leisten, Russland zu isolieren, und es wäre politisch auch nicht klug. Gerhard Schröder hat so getan, als könne man den Tiger reiten. Die Kanzlerin hat sich seine Floskel von der strategischen Partnerschaft zu Eigen gemacht. Partnerschaft ist zu viel gesagt. Es suggeriert eine Augenhöhe, die es nicht gibt."

Der Bonner GENERAL-ANZEIGER meint zur Haltung Merkels:

"Russland ist für die deutsche Wirtschaft ein gigantischer Markt. Seine gesellschaftliche Wirklichkeit entspricht beileibe nicht westlichen Menschenrechtsidealen, das ist wahr. Aber wenigstens nimmt die Kanzlerin Merkel in diesem Punkt gegenüber ihrem jeweiligen Gesprächspartner - anders als ihr Vorgänger - kein Blatt vor den Mund."

Themenwechsel. Vor einem "Armenhaus Berlin" hat der Regierende Bürgermeister der Hauptstadt, Klaus Wowereit, vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gewarnt. Die Klage Berlins auf Finanzhilfen des Bundes stößt bei den Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen auf ein geteiltes Echo.

Die LANDSHUTER ZEITUNG verweist darauf, dass die Bundeshilfen für andere Länder wirkungslos verpufft seien:

"Berlin hat sich in Karlsruhe auch auf frühere Finanzspritzen an Bremen und das Saarland berufen. Doch sind diese 15 Milliarden Euro in Zeiten bewilligt worden, in denen die allgemeine Haushaltslage noch nicht so prekär war. Außerdem haben sie ihren Zweck nicht erfüllt. Bremen hat heute noch mehr Schulden als zuvor. Sollte es aber doch Milliarden für Berlin geben, müssen die an knallharte Bedingungen geknüpft sein. Dann wird das Land einen Teil seiner Finanzautonomie an den Bund abgeben müssen. So ist das - nach einem Offenbarungseid."

Das Handelsblatt aus DÜSSELDORF bemerkt:

"Es geht nicht allein um die Frage, ob die 30 Milliarden Schulden den Bund oder die Bundeshauptstadt in die Zahlungsunfähigkeit treiben. Es geht um das System. Das ist krank. Und Karlsruhe wird - wieder einmal - den Arzt spielen müssen. Wie die Richter entscheiden, ist völlig offen. Doch eins kann man jetzt schon sagen: Die große Koalition hat sich, zumindest als Lippenbekenntnis, vorgenommen, die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu zu ordnen. (...) Wenn das Bundesverfassungsgericht die Gelegenheit nutzt, der Politik die unausweichliche Notwendigkeit einer solchen Reform vor Augen zu führen, dann hat sich die Sache schon gelohnt."

Auch die STUTTGARTER ZEITUNG stellt die Mechanismen des Länderfinanzausgleichs in Frage:

"Der gegenwärtige Mechanismus des Finanzausgleichs (...) hat sich zum Motivationskiller gewandelt. Er nährt den Irrglauben, es gebe in Deutschland noch reiche und arme Länder, dabei gibt es nur arme und bettelarme. (...) Kein einziges Land hat es 2005 geschafft, seine Ausgaben mit dem zu bezahlen, was eingenommen wurde. (...) Allein die Bayern haben rechtzeitig den Verschuldungskurs verlangsamt und können bald wieder mit eigenem Geld richtig Politik machen."

In der FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG heißt es schließlich:

"Die Föderalismuskommission hat sich im ersten Anlauf gar nicht erst an das heikle Thema Finanzen herangewagt. (...) Ob die Koalition (...) noch die Kraft findet, die (schwierigere) zweite Stufe der Reform in Angriff zu nehmen, steht dahin. Berlins Gang nach Karlsruhe könnte immerhin einen zusätzlichen Anstoß dazu geben. Denn wie auch immer dieses Verfahren ausgehen wird - ohne eine stärkere Zusammenführung von Einnahmehoheit und Ausgabenverantwortung werden sich die Haushalte von Bund und Ländern nicht stabilisieren lassen."