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Pressestimmen von Donnerstag, 24. März 2005

Siegfried Scheithauer.23. März 2005

Bankgeheimnis // Dienstleistungsrichtlinie

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Der Weg für den geplanten Zugriff von Behörden auf Kontodaten ist ab dem 1. April frei. Ob das "Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit" aber mit dem Grundgesetz vereinbar ist, müssen die Bundesverfassungsrichter noch entscheiden. Auch die Reaktionen der deutschen Tagespresse reichen von Bauchschmerzen bis zum empörten Aufschrei.

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG beschreibt die Lage so:

"Dass die Kontrolle verfassungsrechtlich bedenklich ist, hat am Ende offenbar auch die Regierung eingesehen. Vor wenigen Tagen verschickte das Ministerium ein Schreiben an die Finanzämter, in dem empfohlen wird, die Abfragen äußerst restriktiv zu handhaben. Die Abrufe müssen begründet sein, dem Betroffenen mitgeteilt werden und gerichtlich überprüfbar bleiben. Allein diese späte Korrektur hat bewirkt, dass die Richter nach dem vorläufigen Inkrafttreten der neuen Regeln keine schwerwiegenden Folgen befürchten. Das haben die Richter in ihrer Begründung deutlich gemacht. Die Zeit bis zum Hauptverfahren sollte die Regierung deshalb nutzen, um die neuen Einschränkungen ins Gesetz aufnehmen zu lassen. Ein Schreiben aus dem Ministerium allein kann ein problematisches Gesetz nicht verfassungskonform machen."

Die STUTTGARTER ZEITUNG haben noch Hoffnung:

"Auf den ersten Blick erscheint es so, als ob die Karlsruher Richter das Bankgeheimnis aufgegeben haben, damit künftig Finanz- und Sozialbehörden die Bürger bis in die letzte Tasche durchleuchten können. Tatsächlich hat es das Bundesverfassungsgericht aber noch offen gelassen, ob dieser massive Eingriff mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die Richter haben gestern lediglich darauf verzichtet, das Gesetz zu stoppen."

Für die Zeitung DIE WELT hingegen ist die Entscheidung schon gefallen:

"Vom 1. April an ist 'Bankgeheimnis' in Deutschland nur noch ein leeres Wort. Das Bundesverfassungsgericht hat keine ausreichenden Gründe gesehen, die Möglichkeit einer erweiterten Konteneinsicht doch noch zu stoppen. Dies ist nicht nur für Steuerhinterzieher eine Hiobsbotschaft, sondern auch für all jene Bürger, denen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein Wert an sich ist."

Auch die FULDAER ZEITUNG malt schwarz in schwarz:

"George Orwells 'großer Bruder' lässt grüßen. Ab April existiert das deutsche Bankgeheimnis faktisch nicht mehr. Sozialämter, Arbeitsagenturen und Finanzbehörden können dann mehr oder weniger nach Gutdünken Daten aus den geschätzten 500 Millionen Bankkonten und Wertpapierdepots in Deutschland abrufen (...). Was die rot-grüne Koalition zunächst unter dem Deckmantel der Terroristenbekämpfung auf den Weg gebracht hat, ist ein weiterer Mosaikstein in Richtung Überwachungsstaat, der die Bürger unter Generalverdacht stellt."

Die umstrittene Dienstleistungsrichtlinie der Europäischen Union soll überarbeitet werden. Die Beschlüsse des EU-Gipfels werden von den Leitartiklern widersprüchlich beurteilt.

So stimmt die ABENDZEITUNG aus München in den Applaus mit ein, mahnt aber auch zu beharrlichem Widerstand:

"Dass Kanzler Schröder auf dem EU-Gipfel das Inkrafttreten der Dienstleistungsrichtlinie verhindert hat, ist in der Tat ein Grund zum Jubeln: Denn sie hätte einen drastischen Lohnwettbewerb und die Vernichtung vieler Arbeitsplätze in Deutschland bedeutet. Doch wenn jetzt einige so tun, als ob damit Sozialdumping für immer abgewendet sei, ist das Augenwischerei. (...) Deutschland wird sich auf Dauer nicht abschotten können. Doch die Politik muss alles tun, um die Übergänge so weich wie möglich zu gestalten. Ein Wettbewerb, der sich immer nur um die allerniedrigsten Löhne dreht, ruiniert am Schluss alle."

Ganz anders hat es das HANDELSBLATT aus Düsseldorf gesehen:

"Bei der nun bevorstehenden großen Revision der Dienstleistungsrichtlinie werden mit Sicherheit zwei wichtige Bereiche abgeschottet: das Gesundheitswesen und die gesamte öffentliche Wirtschaft. Das sind dummerweise genau jene Sektoren, in denen private Investitionen dringend nötig wären. Eine Entschlackung der Verwaltungsvorschriften, kürzere Genehmigungsverfahren, mehr Transparenz - all diese Schlüsselfaktoren für einen Aufschwung werden nun verhindert. (...) Mit der Aufweichung des Stabilitätspakts und dem Rückzug bei der Dienstleistungsrichtlinie hat Deutschland in wenigen Tagen gleich zwei Säulen der EU geschwächt: den Euro und den Binnenmarkt."