1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Pressestimmen von Donnerstag, 13. Mai 2004

Pelzer/Wehling 12. Mai 2004

Berliner Rede des Bundespräsidenten // Lage im Irak

https://p.dw.com/p/52Qq

Beachtung bei den Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen finden an diesem Donnerstag die letzte so genannte Berliner Rede von Bundespräsident Johannes Rau sowie die Lage im Irak, vor allem mit Blick auf die Enthauptung eines Amerikaners durch moslemische Extremisten.

Zunächst zur Rede des Bundespräsidenten. In der OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock heißt es:

'Johannes Rau hat gestern schonungslos abgerechnet - mit erpresserischen Lobbyisten, selbstsüchtigen Verbänden, miesepetrigen Funktionären und sich selbst blockierenden Parteien. Raus Worten konnte man entnehmen, dass er wie große Teile der Bevölkerung verbittert ist.'

Die in München erscheinende SÜDDEUTSCHE ZEITUNG bemerkt zu der Rede:

'Sie war das kluge Finale einer Reihe von großen Reden, sie war das geläuterte Fazit eines Politiker-Lebens, das Vermächtnis eines Präsidenten, dem das Versöhnen wichtig war - und der nun am Ende seiner Amtszeit feststellt, dass das Land unversöhnt ist mit sich selbst: Deutschland ist sich selbst zum Feind geworden; das Land misstraut sich, es bekämpft sich selber.'

Kritischer äußert sich der KÖLNER STADT-ANZEIGER.

'Mit Rau verabschiedet sich aber bald auch ein Mann aus dem Amt, der dem Ruf nach mehr Eigenverantwortung der Menschen skeptisch gegenübersteht. Der Staat hat für ihn immer noch eine Schutzfunktion für den Einzelnen, auch gegenüber ökonomischen Interessen. ... Vielleicht mehr als an allem anderen spürt man darin Raus politische Sozialisierung aus einer anderen Zeit.'

Die THÜRINGER ALLGEMEINE aus Erfurt merkt an:

'Was nutzt es, mit lautem Krachen die Tür hinter sich ins Schloss zu werfen? Ernst zu nehmen wäre die Standpauke von Bundespräsident Johannes Rau bei einer Antrittsrede. ... Seine damaligen Reden über Globalisierung oder Gentechnik hat kaum jemand in Erinnerung.'

'Anders argumentiert die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG:

'Am Ende hat es Johannes Rau doch noch geschafft: Er scheidet aus dem Amt des Bundespräsidenten als eindrucksvolle Stimme derjenigen, die sich nicht mit einer kollektiv depressiven Gesellschaft der Schwarzmaler, Aktien-Gierlappen und Zyniker abfinden wollen. Rau ist all denen auf die Füße getreten, die ihr eigennütziges Geschäft in Politik, Wirtschaft und Verbänden betreiben, um persönlichen Profit und Macht um der bloßen Macht willen zu mehren.'

Damit zum nächsten Thema, der Lage im Irak.

Die in Berlin herausgegebene Tageszeitung DIE WELT schreibt zur Ermordung eines US-Bürgers:

'Erst die Fotos von den Misshandlungen, jetzt das Video von der Enthauptung. Schreckensbild folgt auf Schreckensbild, und wir Medienkonsumenten meinen, da müsse ein moralischer Zusammenhang bestehen. Den gibt es aber nicht: Die Bestialität der Terroristen ist nicht die Folge des Sadismus in Abu Ghraib. Lange vor Bekanntwerden der Geschehnisse dort wurden Leichen von Amerikanern an Brücken aufgehängt ... Die Terroristen brauchen keine moralischen Gründe, sie haben auch keine.'

Die WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG aus Essen analysiert:

'Wer beim Anblick von Mord- und Folterbildern an Mittelalter denkt, hat Recht. ... Wir erleben einen Rückfall in die Vormoderne: die Privatisierung des Krieges. Wer Freischärlern und Söldnern das Feld überlässt, gibt das Gewaltmonopol des Staates aus der Hand. ... Die USA wollten sich im 'Krieg gegen den Terror' lästiger Bremsen und Kontrollen entledigen und ließen gesetzlose Zonen entstehen. Unter den vielen Fehlern, die sie begangen haben, ist das vielleicht der Verhängnisvollste gewesen.'

Die BERLINER ZEITUNG notiert:

'Die moralische Katastrophe, die die Regierung der Vereinigten Staaten in diesen Wochen erleidet, hat viele Gesichter. Eines gehört einem Sprecher des Weißen Hauses, der den Mord an Nick Berg mit den Worten kommentierte: 'Sie haben keinen Respekt vor dem Leben unschuldiger Männer, Frauen und Kinder.' Die Katastrophe besteht darin, dass jeder irakische Bürger diese Worte ohne weiteres bestätigen würde. Nur würde er dabei derzeit weniger an die Terroristen denken, als vielmehr an die Soldaten der amerikanischen und britischen Armee.'