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Pressestimmen von Donnerstag, 13. März 2003

zusammengestellt von Hanns E. Petrik.12. März 2003

Der Mord von Belgrad

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Der Mord am serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic beherrscht die Kommentarspalten der Zeitungen an diesem Donnerstag. Dabei geht es den Analysten vor allem darum, jenseits von reiner Spekulation mögliche Motive und Hintergründe der Bluttat zu deuten. Etwas Grundsätzliches steht zunächst im TAGESSPIEGEL aus Berlin:

'Der Balkan, den viele auf gutem Weg zu einem verlässlichen Frieden sahen, meldet sich zurück. ...Das Attentat stürzt Serbien, stürzt den Balkan in Turbulenzen. Und ist eine Warnung an alle, die die halbe Welt gewaltsam demokratisieren wollen. Nachhaltige Demokratisierung braucht viel länger, als die Scheinwerfer der Weltöffentlichkeit leuchten.'

Mehr ins Detail geht dann die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG:

'Sein Ziel war so weit entfernt vom bedrückenden Alltag in Belgrad, Nis oder auf dem Land, dass nur Visionäre oder Wendehälse den unerschütterlichen Glauben daran predigen konnten. Djindjic war beides, er war seiner Zeit voraus und scherte sich wenig um die vergangenen Zeiten oder um das, was er selbst gestern noch vertrat.
Doch die meisten seiner Landsleute hat er mit seinem ideologiegesäuberten Kurs überfordert. Mit den Wirtschaftsreformen brachte er nicht die versprochenen schnellen Verbesserungen, zugleich stieß er die Serben in ein psychologisches Vakuum. ... Djindjic stand mit seiner Person für diesen Kurs, und deshalb nahmen ihm dies viele auch persönlich übel.'

Soweit die SÜDDEUTSCHE.

Auch die MÄRKISCHE ODERZEITUNG in Frankfurt an der Oder sieht ähnliche Motive:

'Extremisten und Nationalisten werden möglicherweise die Gunst der Stunde nutzen, um mit den westlich orientierten Kräften abzurechnen. Der umstrittene Ministerpräsident hatte viele Feinde. Gegen den Willen seines früheren Weggefährten Kostunica lieferte er Milosevic ...aus. Das brachte ihm die Verachtung der Nationalisten ein. In der Armee und im Geheimdienst galt Djindjic als Verräter an der großserbischen Sache. Und auch die Bevölkerung war nicht gut auf ihn zu sprechen. Vollmundig angekündigte Reformen versandeten.'

In der BERLINER ZEITUNG lesen wir:

'Djindjic hat - nicht immer freiwillig - Kriegsverbrecher nach Den Haag ausgeliefert, um sie ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Beides rechnet ihm der Westen hoch an. Das neue politische System hat einen schweren Schönheitsfehler, der sich möglicherweise kaum vermeiden ließ, der aber in den nächsten Wochen und Monaten zu gewaltigen Schwierigkeiten führen wird: Es hing viel zu sehr an Zoran Djindjic.
Der hatte die gesamten Machtstrukturen, zuletzt die des seltsamen neuen Staatsgebildes mit dem sperrigen Namen Serbien und Montenegro, ganz auf seine Person zugeschnitten.'

Das war ein Kommentar der BERLINER ZEITUNG.

Den Blick in die Zukunft richtet sodann die ALLGEMEINE ZEITUNG MAINZ und schreibt:

'Es scheint, als sei ihm die Zahl seiner Widersacher, die
stets unterschiedlichste Motive hegten, nunmehr über den Kopf gewachsen. Einige davon sind ihm wohl auch zu Todfeinden geworden...Wie es nun weiter geht in Belgrad, ist völlig unklar. Die Verfassungsreform trägt seit gestern ein Fragezeichen. Für Serbien ist es jedenfalls nicht leichter geworden, und für seine Aufbaupartner auch nicht. Das politische Attentat hat auf dem Balkan Tradition. Die Welt kann froh sein, wenn daraus kein neuer Krieg erwächst.'

Und schliesslich meint die OSTSEE-ZEITUNG in Rostock:

'Für Serbien könnte sich dieser Politiker-Mord etwa so dramatisch auswirken, als hätte Tschechien seinen Vaclac Havel oder Polen seinen Lech Walesa in der revolutionären Frühphase verloren. Das brutale Attentat belegt, wie anfällig der junge Reformprozess im restjugoslawischen Serbien und Montenegro nach wie vor ist. Und es
wirft ein Schlaglicht auf eine von Politik und Medien in Europa weithin vergessene, vernachlässigte Region. In Serbien liegt die Wirtschaft am Boden...Den Menschen geht es schlecht - sie sehnen sich nach alten Zeiten zurück. Doch Westeuropa hat...den Balkan vergessen. 'Ohne den Balkan ist Europa nicht vollständig und ohne Europa ist der Balkan eine Zeitbombe, die alle fünf Jahre
explodiert', mahnte Djindjic, der Pro-Europäer, im Sommer 1999. Diese Aussage ist - spätestens seit gestern - wieder hochaktuell.'