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Pressestimmen von Donnerstag, 04. Dezember 2003

Reinhard Kleber3. Dezember 2003

China-Besuch des Bundeskanzlers / Scheitern des Spitzentreffens zur Tarifautonomie

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Im Mittelpunkt der Kommentare der deutschen Tageszeitungen steht abermals die China-Reise von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Ein weiteres Thema ist das erfolglose Spitzentreffen von Arbeitgebern und Gewerkschaften zur Tarifautonomie.

Zur fünften China-Reise des Kanzlers merkt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG an:

"Selbst wenn es so wäre, dass die Hanauer Brennelemente-Fabrik für militärische Zwecke nicht besonders gut verwendet werden kann - die Art und Weise, wie Schröder die Bedenken negiert, spricht Bände. Noch mehr Bände spricht sein Werben für die Aufhebung des EU-Waffenembargos gegen China. Hauptsache, das Geschäftsklima stimmt. Der Kanzler machte in China die Menschenrechte zu einer Angelegenheit, die er zu Hause Gedöns nennt. Er hat nicht verstanden, dass ihre Beachtung eine Voraussetzung für langfristige Investitionen ist. Ein Land, das die bürgerlichen Freiheitsrechte nicht achtet, bleibt potentiell instabil."

Noch schärfer geht der Berliner TAGESSPIEGEL mit Schröder ins Gericht:

"Auch wenn die Mehrheit der Chinesen heute mehr Freiheiten genießt, werden die Rechte Einzelner weiter massiv verletzt. In den Arbeitslagern sitzen Tausende Falun-Gong-Anhänger - viele überleben die 'Umerziehung' nicht. Noch düsterer sieht die Lage in Tibet und der muslimischen Provinz Xinjiang aus. Wenn Schröder die Menschenrechte nur zum Randthema in der Provinz macht, wenn er den Eindruck hinterlässt, dass er Verständnis für Pekings Kriegsdrohungen gegen das demokratische Taiwan habe, dann macht der Kanzler sich und seine Chinapolitik unglaubwürdig."

Der MANNHEIMER MORGEN wendet sich der Frage zu, wie die Grünen zu Hause auf die Ankündigungen des Kanzlers reagieren:

"Erst stellt der Kanzler Peking ein Ende des Waffenembargos in Aussicht, dann auch noch den Verkauf der Hanauer Brennelemente-Fabrik - als sei beides eine schiere Selbstverständlichkeit für die sensible grüne Seele. Umgekehrt gilt: Jeder geht so weit, wie der andere ihn lässt. Die Grünen, mag Schröder gedacht haben, sind zahm geworden. Denen kann ich auch das noch zumuten. Etwas mehr Fingerspitzengefühl hätte nicht geschadet. So war des Kanzlers fünfter Abstecher ins Reich der Mitte allenfalls ein Beispiel gelungener Wirtschaftsförderung. Seiner Koalition hat er eher geschadet.»

Die Berliner Tageszeitung DIE WELT schreibt:

"Die Signale, die von Schröders China-Verkaufstour ausgehen, sind unmissverständlich: Zu Hause könnt ihr mich quälen, im Jammertal der Haushaltskrisen und Sozialgesänge. Aber wenn ich losgelassen bin, dann räume ich jede moralische oder politische Exportbarriere aus dem Weg. Entsprechend verdattert reagiert daheim seine Umgebung, von der EU-Kommission in Brüssel bis zum grünen Koalitionspartner - von der eigenen Partei ganz zu schweigen. Ab morgen aber, da muss Schröder daheim wieder ganz kleine Vermittlungsbrötchen backen - dann ist Schluss mit 'big in China'."

Zum gescheiterten Verständigungsversuch in Sachen Tarifautonomie lesen wir in der FRANKFURTER RUNDSCHAU:

"Zu stark schätzen die Arbeitgeber ihre Stellung ein, um sich auf Kompromisse einzulassen. Dafür sorgt schon der Übereifer von Union und FDP, die mit ihren Forderungen nach Öffnung der Lohnverhandlungen selbst die Arbeitgeberverbände weit hinter sich gelassen haben. Unter diesen Bedingungen war die Konsenssuche zum Scheitern verurteilt. DGB-Chef Michael Sommer hat sich auf ein hohes Risiko eingelassen, als er die Verhandlungen aufnahm. Deren Platzen dürfte sich als Hypothek erweisen."

Die WETZLARER NEUE ZEITUNG erwartet nun eine Offensive der unionsgeführten Bundesländer im Vermittlungsausschuss, um der Regierung eine gesetzliche Tariföffnung abzuringen. Dafür sieht das Blatt zumindest zwei Anhaltspunkte:

"Zum einen hat Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) schon seit längerem eine höhere Flexibilität der Tarifpartner in dieser Frage angemahnt. Zum anderen wird die Position der Bundesregierung als Garant der Tarifautonomie mit jedem Tag schwächer, an dem die Schuldenbelastung ansteigt und der Wirtschaftsaufschwung auf sich warten lässt."