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Pressestimmen von Dienstag, 28. November 2006

Frank Wörner 27. November 2006

Richtungsstreit auf dem CDU-Parteitag / Scheitern der Zypern-Gespräche

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Die Kommtentatoren der deutschen Tagespresse befassen sich mit dem Scheitern der Gespräche zwischen der EU und der Türkei über die Zypern-Frage sowie mit dem Richtungsstreit der CDU auf ihrem Bundesparteitag in Dresden.

Zu letzterem schreibt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG:

'Auch das Machbare brauche eine Vision, sagte die Kanzlerin auf dem Parteitag. Aber man sucht bei ihr vergeblich nach auch nur einem Visiönchen. Die Klarheit Merkelscher Außenpolitik fehlt ihrer Innenpolitik komplett. Sie propagiert die Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft als eine Aufgabe, 'die über die Zukunft unseres Landes entscheidet!' - sagt aber nicht wie. Die Erneuerung braucht einen Standpunkt; sie hat keinen.'

Ähnlich äußert sich die Berliner TAGESZEITUNG TAZ:

'Die Christdemokraten wissen nicht mehr, was soziale Marktwirtschaft in einer globalisierten Welt eigentlich ausmacht, und wie Gerechtigkeit hergestellt werden kann - ob durch mehr Wettbewerb, mehr Staat oder mehr Bildung. Die Angstdebatte, die Jürgen Rüttgers angestoßen hat, ist nichts anderes als ein Ausdruck dieser Orientierungskrise, und nicht etwa Teil ihrer Lösung.'

Das HANDELSBLATT befasst sich mit dem Vorstoß des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten:

'Bei der CDU wurde in den letzten Monaten schon als Revolutionär bezeichnet, wer nur aus den eigenen Programmen vorlas. Genau dies hat Jürgen Rüttgers zum Aufstieg in den Olymp der bundespolitischen Popularität genutzt. Seine Vorschläge zur Differenzierung der Dauer des Arbeitslosengeld-Bezugs sind tief verankert in der CDU-Programmatik. Sie sind auch weder ordnungspolitische Todsünden, noch heben sie den Sozialstaat finanziell aus den Angeln. Die eigentliche Ursache für die Aufregung, die er ausgelöst hat und die auch den Parteitag in Dresden beherrscht, liegt in der tiefen Verunsicherung der CDU nach einem Jahr großer Koalition.'

Die WESTFÄLISCHE RUNDSCHAU stellt dazu fest:

'Rüttgers hat nur populär verkauft, was ohnehin Programm der CDU ist: 'Leistung muss sich lohnen - auch in der Arbeitslosenversicherung.' Präziser hätte man die Abkehr vom Solidarprinzip kaum beschreiben können. Selbst wenn Jürgen Rüttgers sich nun bemüht, sein miserables Abschneiden als Ergebnis eines Richtungsstreits umzudeuten - in Wahrheit hat die CDU-Basis nur seinen ungebremsten Profilierungsdrang bestraft.'

Und schließlich fragt die Mainzer ALLGEMEINE ZEITUNG:

'Kann der CDU etwas Besseres passieren als eine leidenschaftliche Debatte um mehr soziale Gerechtigkeit? Wohl kaum. Der Dresdner Parteitag erregt sich, aber er revoltiert nicht. Er ist ein wunderbares Ventil für all diejenigen, die sich noch immer unheimlich fühlen in dieser merkwürdigen Regierungskoalition mit der SPD. Der Arbeitnehmerflügel macht endlich aus seinem Herzen keine Mördergrube mehr und schimpft, er sei in der Vergangenheit untergepflügt worden. Das ist gelebte Parteitagskultur. Zu der gehört auch, dass einer wie Rüttgers dann mit einem miserablen Ergebnis abgestraft wird. Das hat inhaltlich wenig zu bedeuten.'

Die FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND greift das Scheitern der Gespräche zwischen der EU und der Türkei über die Zypernfrage auf:

'Der Streit hat eine Vorgeschichte, in der nicht die Türkei der Bösewicht ist. Es waren die griechischen Zyprer, die 2004 die Wiedervereinigung mit dem Nordteil der Insel ablehnten - in dem Wissen, dass ihnen als bestehendes EU-Mitglied daraus kein Nachteil erwächst. Die Türkei andererseits kann ohne Zustimmung des griechischen Zypern nun nicht mehr beitreten. Es wäre deshalb unfair und unangebracht, die Verhandlungen jetzt an der Zypern-Frage scheitern zu lassen.'

Ähnlich äußert sich die Lüneburger LANDESZEITUNG:

'Die EU-Integration der Türkei steht auf der Kippe, weil der Neuankömmling die Spielregeln nicht einhalten will und der Club mit zweierlei Maß misst. So lässt die EU den griechischen Zyprioten deren Festhalten am Embargo über die türkischen Zyprer durchgehen. Richtig ist, dass die Türkei als Beitrittskandidat alle Mitglieder anerkennen muss. Noch ist die Türkei nicht reif für den EU-Beitritt - aber für Verhandlungen. Eine Aussetzung würde ein Projekt gefährden, das weltpolitische Dimensionen hat: die Aussöhnung von Islam und Demokratie und die Aufwertung der EU zur Weltmacht.'

Die WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG aus Essen fragt:

'Ist die Türkei noch interessiert? Ankara hält seine Häfen für Ware aus dem griechisch-zyprischen Süden versperrt, obwohl die Republik Zypern Mitglied der EU ist und EU und Türkei klare Handelsvereinbarungen unterhalten. Regierungschef Erdogan leistete dem türkischen Beitrittsstreben einen Bärendienst, wenn er, um Nationalisten zu gefallen, innenpolitische Motive über die europäische Perspektive stellt. Ohnehin ist die türkische Europa-Begeisterung verblasst. Womöglich drückt sich in der verbreiteten Anti-Europa-Stimmung nicht zuletzt die Folge des bemerkenswerten Wachstums aus: Dass man die EU als Motor der Wirtschaft nicht mehr braucht.'

Die WELT schließlich gelangt zu der Überzeugung:

'Die EU hat sich lange genug von der Türkei vorführen lassen. Appelle, Mahnungen, Drohungen - all diese Manöver aus dem Instrumentenkasten der europäischen Diplomatenschule haben am Bosporus nichts bewirkt. Sie haben allenfalls den Zorn vieler EU-Bürger über eine nachgiebige Erweiterungspolitik, die den Kandidaten immer wieder ein Hintertürchen eröffnet, angestachelt. Das wiegt schwer. Es geht nicht nur um die Weigerung der Türkei, die Häfen für das EU-Mitglied Zypern zu öffnen. Es geht auch darum, dass Ankara bei der Umsetzung der Reformgesetze vom Sommer 2002 seit einem Jahr keine echten Fortschritte mehr gemacht hat. Ohne konsequentes Handeln verlieren die europäischen Institutionen weiter an Glaubwürdigkeit. Die EU braucht die Türkei nicht.'