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Pressestimmen von Dienstag, 28. März 2006

Gerhard M Friese27. März 2006
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Am Tag nach den Landtagswahlen in drei Bundesländern und der Kommunalwahl in einem weiteren ist die geringe Wahlbeteiligung das Thema der Kommentatoren deutscher Tageszeitungen. Beachtung fand auch die Parlamentswahl in der Ukraine.

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU zeigt die Dimensionen der Wahlbeteiligung in den Bundesländern auf:

"Wenn das keine satten Mehrheiten sind: 55,6 Prozent in
Sachsen-Anhalt, 54,4 Prozent in Hessen, in Frankfurt fast 60. Klare Verhältnisse? Das schon, aber auf eher erschreckende Weise: Die Zahlen benennen den Umfang der Wahlenthaltung. Bei allen drei Landtagswahlen am Sonntag und bei der Kommunalwahl in Hessen stellen die Abstinenten in absoluten Zahlen die mit Abstand 'größte Fraktion... Ist nicht das schwarz-rote Berliner Bündnis selbst schon Ausdruck einer Erosion, die lange vor dem Jahr 2005 begann? Seit
Jahren ist der Kampf der Konzepte, der Streit um Zukunftsvisionen einem Wettlauf um das möglichst reibungslose Verwalten von Verhältnissen gewichen, die wirklich zu verändern kaum noch jemand beansprucht."

Die LÜBECKER NACHRICHTEN sehen die große Koalition in der Pflicht:

"Richtig verloren hat nur einer: die Demokratie. Die neuen
Minusrekorde bei der Wahlbeteiligung kamen nicht überraschend, das Ausmaß allerdings erschreckt. Gestärkt wurde die politische Mitte - und sei es, weil viele Enttäuschte gar nicht erst zur Wahl gingen. Ihre innere Kündigung, so alarmierend sie ist, bleibt ohne Einfluss auf den Fortgang der konkreten Politik. Die Große Koalition hat dafür nachträglich ein Mandat bekommen, weil am Sonntag nicht, wie so oft in den vergangenen Jahren, Landtagswahlen als Sanktionsmittel für die Bundespolitik herhalten mussten. SPD und Union haben jetzt alle Möglichkeiten. Beide Partner können sich nur
noch selbst im Wege stehen."

Die Berliner TAGESZEITUNG stellt sich hinter die Nichtwähler:

"Was tun? Ganz pragmatisch kann man sagen: Dem Gros der Bürger leuchtet der Sinn von Bundestagwahlen ein, bei Landtagswahlen ist das stetig weniger der Fall. Warum also nicht Bundes- und Landtagswahlen auf einen Termin legen? Der Nicht-Wähler 2006 ist jedenfalls besser als sein Ruf. Denn Politik ist die Fähigkeit, Unterscheidungen zu treffen. Das tut der Nicht-Wähler - und entscheidet sich, ob er diese Wahl für wichtig oder unwichtig hält. Seine Geste ist die des enttäuschten Rückzugs. Auch das ist eine politische Geste."

Und die OFFENBACH-POST lehnt Sanktionen ab:

"Die Vorstellung, per Gesetz könne man ein genehmeres Ergebnis oder ein Hoch auf die Demokratie herbeiwählen lassen, ist absurd. Druck hat noch nie Überzeugung und Motivation gefördert, Mobilisierung allein tut's letztendlich wohl auch nicht. Zwang und Demokratie schließen einander aus.... Wenn nur rund ein Drittel zur Wahl geht, hat die Demokratie ein Problem. Die Frage wäre nun zu klären: Wer ist verantwortlich für dieses Problem? Die Wähler sind es gewiss nicht."

Zur Parlamentswahl in der Ukraine meint die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG aus München:

"In Kiew zeichnet sich also eine Neuauflage des Parteienbündnisses ab, das im Herbst 2004 durch die Revolution eine Wiederholung der gefälschten Präsidentenwahl erzwungen hat. Eine solche Koalition
würde zweifellos dem Reformprogramm Juschtschenkos neuen Schwung geben. Denn bisher ist seine Bilanz durchwachsen. Dem Präsidenten Juschtschenko ist offenbar klar, dass er den Osten mit seinen postsowjetischen Strukturen stärker als bisher in seine Reformen einbeziehen muss, wenn er die politische Teilung des Landes
überwinden will. Er wird also versuchen, die Parteien der Regionen in seine Politik einzubinden. Die Aussichten für die Ukraine, sich innerpolitisch zu stabilisieren, haben sich mit den Wahlen deutlich verbessert."

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG sieht die neue alte Koalition als
Chance:

"Ihr addierter Stimmenanteil liegt nur knapp unter dem, den
Juschtschenko Ende 2004 im fairen dritten Wahlgang erreicht hatte. Die Partei der Regionen hingegen ist weit unter jenem Ergebnis geblieben, auf das ihr Vorsitzender Janukowitsch damals gekommen war. Die orangen Kräfte haben nun eine weitere Chance, die politische Prüfung zu bestehen, die sie im vergangenen Jahr nicht bestanden hatten, als die Regierung zerbrach."

Dagegen glaubt die MÄRKISCHE ODERZEITUNG die Koalition noch nicht im Amt:

"Timoschenko setzt auf eine konsequente Westorientierung der Ukraine und sucht dabei auch den Konflikt mit Russland.
Juschtschenko strebt einen Ausgleich mit dem mächtigen Nachbarn an, ohne langfristig den EU-Beitritt seines Landes aus den Augen zu verlieren. Aufgrund dieser Konstellation ist auch Janukowitsch noch nicht ganz aus dem Rennen. Dieser repräsentiert die traditionell russlandfreundliche Ostukraine. Die EU hat jedenfalls vorsorglich mitgeteilt, dass sie auch mit einer Regierung Janukowitsch künftig enger zusammenarbeiten würde."

Und der Bonner GENERAL-ANZEIGER sieht Präsident Juschtschenko geschwächt:

"Freie Wahlen haben die Eigenschaft, dass man sich das Ergebnis nicht aussuchen kann. Das musste jetzt auch Viktor Juschtschenko, der Präsident der Ukraine, erfahren. Das Endresultat der Parlamentswahl am Sonntag steht zwar noch nicht fest. Aber klar ist schon jetzt, dass er sich zwischen zwei höchst unbequemen Partnern entscheiden muss.... Und weil Juschtschenkos Partei die Wahl eindeutig verloren hat, muss er, zudem geschwächt durch die neue Verfassung mit ihren erweiterten Rechten für die Legislative, in beiden Fällen dem Rivalen die Führung überlassen."