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Pressestimmen von Dienstag, 28. Februar 2006

Ute Wagemann27. Februar 2006

BND-Irak / 100 Tage Große Koalition

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Die von uns ausgewählten Kommentare deutscher Tageszeitungen beschäftigen sich an diesem Dienstag erneut mit den Aktivitäten des Bundesnachrichtendienstes während des Krieges im Irak. Anlass ist ein Bericht der US-Zeitung NEW YORK TIMES über einen konkreten Fall von Zusammenarbeit zwischen BND und US-Armee. Außerdem ziehen die Tageszeitungen eine Zwischenbilanz nach 100 Tagen Großer Koalition.

Die in Berlin herausgegebene Tageszeitung DIE WELT sieht diese Veröffentlichung kritisch:

"Wieder ist es eine renommierte amerikanische Zeitung, die diesmal behauptet, ein BND-Agent habe den Amerikanern Saddam Husseins Verteidigungsplan für Bagdad zugespielt. Und wieder beruft sich die Zeitung auf eine amerikanische Geheimdienstquelle. Die Bundesregierung dementiert zwar umgehend, doch erneut steckt sie in einer höchst unliebsamen Verteidigerrolle."

Mit dem Dementi der Regierung beschäftigt sich auch die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG:

"(...) Der BND behauptet, ihm sei der ganze 'Sachverhalt' nicht bekannt. Das klingt kategorisch. Dem steht gegenüber, daß die von der 'New York Times' mit vielen Details (inklusive einer Skizze) veröffentlichte Geschichte offenbar auf einen internen Bericht des amerikanischen militärischen Geheimdienstes DIA für das Pentagon zurückgeht. Das alles wirkt nicht so, als sei es schlicht erfunden."

Die Begründung der Regierung, die Vorwürfe seien falsch, analysiert die OSTSEE-ZEITUNG in Rostock:

"Das Argumentationsgebäude, mit dem die jetzige Regierung jedwede tiefere Verstrickung deutscher Geheimdienste in den Irak-Krieg leugnet, wankt bedenklich. Das Dementi folgte dem Bericht der angesehenen "New York Times" auf dem Fuße. Doch fiel fiel dieses Dementi seltsam gewunden aus. Das schwarz-rote Krisenmanagement nährt leider den Verdacht, hier könnte etwas unter der Decke gehalten werden. Es gibt noch viel aufzuhellen in der trüben BND-Affäre. Und dies geht wohl doch nur in einem Untersuchungsausschuss."

Mit der Frage, ob es sich bei dem Auftauschen des Themas in der amerikanischen Presse um eine Kampagne handelt, beschäftigt sich der Berliner TAGESSPIEGEL:

"Wer eine Kampagne wittert, muss die Frage beantworten, wer gegen wen und warum. Weder Bush-Administration noch CIA haben ein Interesse an einem Untersuchungsausschuss, in dessen Zentrum der BND steht. Das erschwert die Zusammenarbeit. Auch an einer Demontage der Merkel-Regierung kann ihnen nicht gelegen sein."

Über die Taktik der Opposition im Zusammenhang mit der BND-Affäre schreibt der KÖLNER STADT-ANZEIGER:

"Die deutsche Opposition hat kaum noch eine andere Wahl, als weitere Aufklärung einzufordern. Damit dürften die Gemeinsamkeiten zwischen FDP, PDS und Grünen aber auch schon enden: Während sich die Linkspartei als einzig wahre Friedenspartei zeigen will, werden die Liberalen mit Lust die Rolle des früheren grünen Außenministers Joschka Fischer unter die Lupe nehmen. Die Grünen denken, dies fürchtend, genau deshalb über 'enge Fragestellungen' für einen Untersuchungsausschuss nach."


Damit zum nächsten Thema: Am 1. März ist die Große Koalition 100 Tage im Amt. Die STUTTGARTER ZEITUNG beschäftigt sich mit der Stimmung zwischen CDU und SPD:

"Es ist die SPD, die der Regierungschefin Sorgen machen muss. Denn unabhängig davon, wie die Wahlen tatsächlich ausgehen, bleibt eine Führungstroika ein fragiles Gebilde. Eine verunsicherte, zweifelnde Partei, eine Partei auch, deren Machtinstinkt nie so ausgeprägt war wie ihre Passion für Programme, brauchte eigentlich eine unumstrittene Persönlichkeit mit einer Art Richtlinienkompetenz an ihrer Spitze. Das kann Platzeck, der weder in der Bundesregierung noch im Bundestag sitzt, bei allen Qualitäten nicht sein. Der Fraktionsvorsitzende Struck stellt einen relativ unabhängigen Machtpol dar, und Müntefering, der Vizekanzler und Vorgänger Platzecks, auch."

Der NORDKURIER in Neubrandenburg traut dem bisher propagierten Frieden in der Großen Koalition nicht:

"(...)Ob es zwischen Union und SPD so geräuschlos weitergeht, darf bezweifelt werden. Nicht nur, dass die dicken Reformbrocken Gesundheit und Arbeitsmarkt weiter vor der Tür lauern. Beide Seiten müssen ebenfalls befürchten, dass zu viel Kuscheln die Parteien für den Wähler kaum noch unterscheidbar macht."

Die AUGSBURGER ALLGEMEINE setzt sich kritisch mit der "Politik der kleinen Schritte" auseinander:

"An die wirklich großen Brocken hat sich die ohne klare Leitlinien operierende Koalition noch nicht herangetraut. Wenn es soweit ist - und die Krise des Sozialstaats duldet kein langes Ausweichen - wird es mit den kleinen Schritten auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner und den Notreparaturen sicher nicht mehr getan sein. Dann braucht die Koalition den Mut und die Kraft, gegen scharfen Gegenwind zu handeln."

Mit den Auswirkungen der Regierungspolitik auf die finanzielle Zukunft Deutschlands beschäftigt sich DIE TAGESPOST in Würzburg:

"Der Haushaltsentwurf Peer Steinbrücks lässt den Schuldenberg bis 2009 um weitere Millionen ansteigen. Das heißt aber auch, dass der Moloch an Bürokratie und Behördenvielfalt kaum zurückgeschnitten, sondern eher noch ausgeweitet wird. Das ist es nicht, was die Masse der Stimmbürger als Rechtfertigung für eine große Koalition erkannt hatte."

Über die Rolle der Opposition in den ersten 100 Tagen schreibt die LAUSITZER RUNDSCHAU aus Cottbus:

"Auch nach gut drei Monaten ist sie noch nirgendwo erkennbar, die Opposition zur großen Koalition. Dies liegt gar nicht ausschließlich daran, dass es naturgemäß schwer ist, sich gegen die überwältigende Übermacht an Sitzen von Union und SPD zu behaupten. Immerhin waren die, die heute nicht regieren, die Gewinner der Wahl und stellen zusammen mehr als ein Viertel der Volksvertreter. (...) Tatsächlich aber zeigt die Debatte um die Aufklärung der rot-grünen BND-Aktivitätet mit all ihren Wendungen überdeutlich, dass sich Grüne wie auch FDP noch mitten in einem Selbstfindungsprozess befinden."