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Pressestimmen von Dienstag, 24. August 2004

Frank Gerstenberg23. August 2004

Forderung nach Mindestlöhnen / Anhörung im US-Folterprozess

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Die meisten Kommentatoren der deutschen Tageszeitungen widmen sich der Forderung des SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering nach Mindestlöhnen. Die Ablehnung in der deutschen Presse ist dabei nahezu einhellig. Ein weiteres Thema ist der Folterskandal im Irak.

Die in Berlin erscheinende Zeitung DIE WELT fragt:

"Warum tut sich der SPD-Vorsitzende das nur an? Mit der Ankündigung, bis zum Herbst über die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns entscheiden zu wollen, kann Franz Müntefering nichts gewinnen. Er holt sich nur neue Probleme ins Haus. Die Lohnfindung ist aus guten Gründen den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden überlassen. Da sollte sie auch bleiben, denn es ist Sache der am Wirtschaftsleben Beteiligten, über die Lohnhöhe zu entscheiden."

Die BERLINER ZEITUNG pflichtet dem bei:

"Gesetzliche Mindestlöhne sind schädlicher Unfug. Faktisch gibt es in Deutschland längst einen Mindestlohn: derzeit ist es die Sozialhilfe, vom kommenden Jahr an wird es das neue Arbeitslosengeld II sein. Wem für reguläre Arbeit weniger Verdienst in Aussicht gestellt wird als er ohne Gegenleistung vom Staat bekommt, der ist kaum zu ermuntern, zu schlechteren Konditionen Beschäftigung anzunehmen."

Auch die MITTELBAYERISCHE ZEITUNG aus Regensburg meint:

"Abseits des politischen Scharmützels zu Mindestlöhnen offenbart der Vorschlag allerdings mehr bürokratische und rechtliche Macken als Vorteile. Fraglich ist auch, ob der Staat freie Unternehmer zu einer bestimmten Lohn-beziehungsweise Gehaltshöhe zwingen kann. In Ländern in denen dies versucht wird, Beispiel Frankreich, erwies sich der gesetzliche Eingriff der Regierung als eine enorme Einstellungs- bremse gegenüber Jugendlichen."

Die tz aus München schreibt:

"Viele Arbeitnehmer können über die Scheindebatte nur müde lächeln, denn zum Lachen ist ihnen weiß Gott nicht zumute. Längst gibt es völlig legale Mittel, um den Stundenlohn massiv zu drücken, indem man die Belegschaft zum Beispiel nötigt, länger zu arbeiten, ohne Entgelt, versteht sich."

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG bemerkt:

"Will Müntefering einen allgemeinen Lohnverfall stoppen, dann müssten für den Sozialdemokraten und das IG-Metall-Mitglied die Gewerkschaften das Mittel der Wahl sein. Den Rest regelt der Markt."

Auch im Osten Deutschlands stoßen die Pläne des SPD-Vorsitzenden auf wenig Begeisterung. So notiert die OSTTHÜRINGER ZEITUNG aus Gera:

"Franz Müntefering ist ein cleverer Genosse: Zur Abmilderung von Hartz IV macht er den Gewerkschaftsbossen ein Angebot, das diese zwar niemals annehmen, aber auch nicht einfach ablehnen können. Aber die Entscheidung ist eigentlich jetzt schon klar: Die Erhaltung der Tarifautonomie wird der Mehrheit der Gewerkschafter wichtiger sein als Mindestlöhne, die ja nichts anderes als ein Trostpflaster für die Hartz-IV-Reform wären."

In den WESTFÄLISCHEN NACHRICHTEN aus Münster heißt es:

"In der aktuellen Situation ist eine Debatte über Mindestlöhne kontraproduktiv. Denn mit Hartz IV soll ja erreicht werden, dass auch ungelernte Langzeitarbeitslose wieder Arbeitsverhältnisse eingehen. Sie müssen sogar bereit sein, Arbeit anzunehmen, wenn die Löhne dafür bis zu unter 30 Prozent unter dem ortsüblichen Tarif für die jeweilige Tätigkeit liegen. Und darin sieht Müntefering offensichtlich ein wahlentscheidendes Problem. Kanzler und Arbeitsminister aber nicht."

Lesen Sie zum Abschluss einen Kommentar der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG aus München zur Anhörung der us-amerikanischen Soldaten, die irakische Gefangene im Gefängnis von Abu Ghraib gedemütigt haben sollen:

"Ausgerechnet in Saddam Husseins altem Folterverlies misshandelten Soldaten der Befreier die Iraker - offenbar, um die Erniedrigten geständnisfreudiger zu machen. Einspruch, kann die Bush-Regierung sagen: Dies waren Verbrechen von Einzeltätern, dahinter steckte kein System. Ob das zutrifft, mögen die in Mannheim begonnenen Verfahren zeigen. Schon jetzt aber lässt sich sagen, dass unter Präsident George Bush ein Klima entstanden ist, in dem das Recht nicht gedeihen kann. So dürfen Regierungsbeamte Papiere erstellen, in denen über die Zulässigkeit von Folter schwadroniert wird. Und der Präsident selbst nutzte seine diesjährige Rede zur Lage der Nation zu Attacken gegen das Recht. Eine Gruppe neo-radikaler Ideologen versucht offenbar, die Herrschaft des Rechts durch eine Herrschaft der Rechten zu ersetzen."