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Pressestimmen von Dienstag, 22. November 2005

Christian Walz/Günther Birkenstock21. November 2005

Merkel / Scharon

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Seit der Wiedervereinigung 1990 ist Angela Merkel ein rasanter politischer Aufstieg gelungen. Erst Bundesministerin für Frauen und Jugend, später Umweltministerin. Ende der 90er Jahre wird sie CDU- Generalsekretärin, im Jahr 2000 Parteichefin, an diesem Dienstag nun ihre Wahl zur ersten Bundeskanzlerin: Ein 'historischer' Tag - da sind sich die Kommentatoren deutscher Tageszeitungen einig:

"Die erste Frau und die erste Ostdeutsche an der Spitze, die jüngste Kanzlerin unserer Geschichte - das alles hat sie geschafft, obwohl sie von Anfang an unterschätzt und sogar belächelt wurde", schreibt die 'TZ' aus München:

"Auch jetzt, als Dompteurin einer Zwangs-Elefantenhochzeit, schlägt Angela Merkel Skepsis entgegen - ehe sie überhaupt zeigen durfte, was sie kann. Aber vielleicht wird sie erneut unterschätzt. Vielleicht ist diese Frau aus dem Osten, diese Physikerin mit dem für westdeutsche Politiker-Karrieren so untypischen Lebenslauf genau die Richtige für die derzeitige Situation."

Nach Ansicht der MITTELDEUTSCHEN ZEITUNG aus Halle hat Merkel nicht TROTZ, sondern gerade auch WEGEN ihrer DDR-Vergangenheit Karriere in der bundesdeutschen Politik gemacht:

"Angela Merkel war nie eine Selbstdarstellerin - und wird es auch nie werden. Wie viele ihrer ostdeutschen Landsleute hat sie gelernt, dass Sachlichkeit und persönliche Geradlinigkeit probate Mittel waren, das Leben in dem von Widersprüchen geprägten SED-Staat zu ertragen. Gefragt war nicht Inszenierung des Einzelnen, gefährlich lautes Aufbegehren. Gefragt war die Fähigkeit, in von vielerlei Krisen geprägten Zeiten durch Nüchternheit im Denken wie im Handeln intelligente Lösungen zum eigenen Vorteil zu erreichen. Geräuschlos, aber effektiv."

Auch das HANDELSBLATT befasst sich mit mit dem Machtwechsel im Kanzleramt:

"Mit Angela Merkel zieht ein ganz eigener Regierungsstil in Berlin ein, der sie in mannigfaltiger Weise von ihrem Vorgänger unterscheiden wird. Man wird das umso deutlicher sehen, je mehr die Anspannung der Ungewissheit von ihr abfällt und Angela Merkel erst ganz bei sich selber sein kann. Ihre Abneigung gegen das Theatralische in der Politik, gegen die vordergründige Show und die großen Worte, passt zur neuen Nüchternheit der jungen Generationen in Deutschland."

Und noch ein Blick in die THÜRINGER ALLGEMEINE. Die in Erfurt erscheinende Zeitung glaubt:

"Letztlich wird auch die Leistung einer Angela Merkel an dem gleichen Kriterium zu messen sein, an dem ein Gerhard Schröder gescheitert ist: Der spürbaren Senkung der Arbeitslosigkeit. Auch wenn sie sich in dieser Frage auf keine überprüfbare Aussage festlegen ließ, weder im Wahlkampf noch im Koalitionsvertrag. Alles hängt davon ab, ob ausreichend neue Arbeitsplätze entstehen. Oder nicht."

Als auslandspolitisches Thema kommentieren die deutschen Tageszeitungen vor allem den Austritt des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon aus dem regierenden Likud-Block. Scharon bat Staatspräsident Mosche Katzav, das Parlament aufzulösen und damit eine vorgezogene Neuwahl möglich zu machen. Die Motive und Konsequenzen dieser Entscheidung werden unterschiedlich bewertet:

Die FRANKFURTER NEUE PRESSE sieht das Verhalten des Regierungschefs als pragmatischen Zug, um die Zukunft seines Landes zu sichern:

"Viele hatten Scharon unterstellt, er gebe Gaza nur auf, um das Westjordanland zu behalten, aber er will offenbar auch dort weite Teile räumen und beruft sich dabei auf die Road Map. Es wirkt wie eine Ironie des Schicksals, dass jetzt ausgerechnet der General, der den Palästinensern als Kriegsverbrecher und den Aussöhnungswilligen in Israel als Scharfmacher galt, zur größten Friedenshoffnung geworden ist."

Im Unterschied dazu bewertet die WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG aus Essen den Schritt des israelischen Ministerpräsidenten als politischen Schachzug mit ungewissem Ausgang:

"Auch wenn von einem politischen Erdbeben in Israel gesprochen wird, der Schritt von Scharon überrascht nicht wirklich. Seit Jahren kämpft der Regierungschef um die Vorherrschaft im konservativen Likud-Block. Seit Jahren spielt Scharon mit dem Gedanken einer Parteineugründung, auch weil er seinen telegenen und radikalen Likud-Gegenspieler Netanjahu nicht in den Griff bekommt.Ob die neue Partei tatsächlich wie von Scharon-Anhängern behauptet 'Geschichte schreiben' wird, ist nicht ausgemacht... Scharon will den derzeitigen Status Quo betonieren und für Netanjahu ist dies alles viel zu nachgiebig."

Für die LANDSHUTER ZEITUNG ist mit der Entscheidung Scharons die Chance zum politischen Neubeginn geschaffen:

"Die Spaltung des Likud-Blocks und die Einbindung auch anderer in die 'Nationale Verantwortung' erscheint geeignet, die unglückliche politische Teilung Israels zu überwinden und den Palästinensern eine frohe Botschaft zu übermitteln. Mit seinen überkommenen politischen Strukturen hat sich das Land häufig als unfähig erwiesen, auf neue Chancen und Herausforderungen zu reagieren. Insofern handelt Scharon konsequent und logisch."

Auch die OSTSEE-ZEITUNG aus Rostock sieht die neue Konstellation in Israel als notwendige politische Weichenstellung:

"Scharons Absicht, den Likud zu verlassen und eine eigene Partei zu gründen, ist ein Befreiungsschlag, der einen Neubeginn möglich macht. Damit bootet er die ewiggestrigen Abzugsgegner und Hardliner aus, die sich um Erzrivale Benjamin Netanjahu scharen und Scharon das politische Agieren zunehmend erschwerten."