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Pressestimmen von Dienstag, 20. Mai 2003

Gerd Winkelmann19. Mai 2003

Schröders Reformen / Raus Grundsatzrede

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Neben der langen Reihe geplanter Kürzungen im Sozialsystem stand einmal mehr des Kanzlers Schicksal mit zur Abstimmung im Partei-Vorstand der SPD. Keine Frage, dass dies eine deutliche Mehrheit für die umstrittene 'Agenda 2010' sichern half, meinen an diesem Dienstag die meisten Leitartikler der deutschen Tagespresse:

Zum Beispiel der des 'EXPRESS' aus Köln:

'Wenn die rote Hütte brennt, dann ist Brandmeister Schröder stets in Hochform. Das zeigt sich auch im Reformkrach. Ein paar zu nichts verpflichtende Beruhigungspillen für die Linken. Wieder mal eine Rücktrittsdrohung, und schon ist das Feuer des Aufruhrs gelöscht vorerst. Schröder, der Zampano, der alles im Griff hat? Wohl kaum. Mit dem Krisenmanagement dürfte er sich so wie es ausschaut nur über den Parteitag retten. Die Stunde der Wahrheit kommt erst noch.'

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG schreibt:

'Dieser Erfolg der Agenda 2010 hängt allein davon ab, ob es der Regierung gelingt, die langfristigen Erwartungen der Investoren und Konsumenten zu verbessern. Beide Gruppen hat Schröder schon mehrfach enttäuscht und ihnen gegen alle Versprechen immer neue finanzielle Belastungen zugemutet. Daher ist es fatal, wenn sich derKanzler nun die Zustimmung der Linken mit der Aussicht auf eine Ausbildungsplatzabgabe und auf die Anhebung der Erbschaftsteuer zu erkaufen sucht.'

Hier noch ein Blick in den FRÄNKISCHEN TAG aus Bamberg:

'Allmählich wird man der Dauerdiskussion um die Reform-Agenda 2010 müde. Zwar kann man vor der Gesprächsbereitschaft der SPD-Führung durchaus Respekt haben, sie sollte sich aber hüten, das Bild mangelnder Entschlossenheit zu bieten. Die Lage unseres Landes verlangt Konsequenz und eine klar erkennbare Marschrichtung. Gerhard Schröder hat noch eine scharfe Waffe: Er könnte seinen Parteifreunden signalisieren, dass er notfalls seine Reform auch mit einer Mehrheit durchsetzen kann, die ihm die Opposition verschafft. Nach einer solchen Abstimmung bliebe ihm dann aber nur noch der Rücktritt, mit dem er jetzt so zu sagen vorbeugend schon einmal gedroht hat.'

In Berlin lud Bundespräsident Johannes Rau zu seiner vierten Grundsatzrede. Die FRANKFURTER RUNDSCHAU wertet seine Überlegungen zur Außenpolitik folgendermaßen:

'Rau hat mal wieder die Kirche im Dorf gelassen. Alle, die zum gaullistischen Bruch mit Amerika geraten haben oder ohne Rücksicht auf kleinere Mitbewohner durchs europäische Haus trampeln, dürfen sich ermahnt fühlen. Umgekehrt muss sich auch die Supermacht der Herrschaft des Rechts unterwerfen, die UN als Forum multilateraler Politik akzeptieren und einsehen, dass die drängendsten Probleme nicht militärisch, sondern vor allem mit zivilen Mitteln der Vorbeugung gelöst werden sollten. (...) Es ist ein Appell für die Wiederentdeckung der Kontinuitäten und großen Linien, für Umsicht und maßvolle Tonlagen. Es ist ein Appell, der keinem wehtut.'

Die Tageszeitung DIE WELT meint:

'Bundespräsident Rau fand, es sei Zeit, an Grundlagen deutscher Außenpolitik zu erinnern. Er hat Recht. Aber er tat es nach Art des Hauses, milde eher als klar. So gingen zwei Reden ins Land. Deren erste beschrieb die Welt, wie der deutsche Konsens sie gern hätte: friedlich schiedlich, vernünftig, die UNO das Maß aller Dinge, Europa ein historisches Projekt und die USA brav und brüderlich. Die zweite beschrieb die Wirklichkeit: (...) Die Krisen dieser Welt von Klima- Veränderung bis zum Völkermord und von Nahost bis Nordkorea wurden beklagt. Aber was sie Deutschland abfordern, das bis zum bitteren Ende durchzudenken, hat sich Rau erspart.'

In der BERLINER ZEITUNG lesen wir:

'Professionelle Exegeten der Rau'schen Rhetorik werden auch bei dieser Rede noch auf ihre Kosten kommen. Wenn der Bundespräsident sagt, er vermisse eine breite gesellschaftliche Debatte über die Zukunft der Bundeswehr, dann könnte es in der Tat sein, dass er ein verstecktes Plädoyer für die Umwandlung der Wehrpflicht- in eine Berufsarmee halten wollte. Er hat sein Votum dann allerdings so versteckt, dass es in der öffentlichen Debatte kaum noch auffindbar sein wird. So ähnlich ist es, wenn Rau über die Europäische Union redet, über die Nato, über die Vereinten Nationen (...) Der Bundes- Präsident, heißt es, habe keine Macht, es sei denn die des Wortes. Selbst wenn er sie nutzt, bleibt er oft machtlos.'