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'Ein Symbol für das Böse'

Zusammengestellt von Angela Göpfert11. Dezember 2006

Europäische Zeitungen kommentieren den Tod von Chiles Ex-Diktator Augusto Pinochet. Während er für manche Kommentaren ein "Symbol für das Böse" war, betonen andere, Pinochet habe Chile vor dem Kommunismus gerettet.

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Pinochet sei "ungestraft", aber "von Abscheu umgeben" gestorben, kommentiert die römische Zeitung "La Repubblica":

"Pinochet ist in einem Bett gestorben, nicht auf der Matratze einer Gefängniszelle noch von einer rächenden Kugel erschossen. Aber Chile hat trotzdem keinen Grund, sich verflucht zu fühlen. Der Mann, der 3000 politische Häftlinge abschlachten ließ, als es mittlerweile offensichtlich war, dass die chilenische Linke nicht in der Lage war, dem Putsch in irgendeiner Weise zu begegnen, ist ungestraft gegangen. Aber immerhin war er dabei von allgemeiner Abscheu umgeben. (...)

Die ängstliche chilenische Demokratie hat es aus Angst vor der Reaktion der Streitkräfte nicht gewagt, ihn ins Gefängnis zu schicken. Aber sechs Jahre lang hat sie ihm die Schande auferlegt, konstant unter Ermittlungen zu stehen. Und diese haben das demontiert, woran er am meisten hing: Das Bild des Großvaters der Nation, des lieben Alten, des sympathischen Gentleman. Staatsanwälte und Zeitungen unterstellten ihm, dass der Großvater nicht nur ein Mörder (...), sondern auch ein Dieb, ein illegaler Händler, ein Korrupter auf der Bezahlliste der britischen Kriegsindustrie war."

Die spanische Zeitung "El Mundo" schreibt zum Tod des "Schurken" Pinochet:

"Augusto Pinochet hatte mit seinem Putsch 1973 das finsterste Kapitel in der Geschichte Chiles eröffnet. Der damalige Präsident Salvador Allende mag Fehler gemacht haben, aber für einen Staatsstreich gab es nicht die geringste Rechtfertigung. Als vor anderthalb Jahren herauskam, dass Pinochet Millionensummen außer Landes geschafft hatte, verlor der Ex-General bei den wenigen Anhängern, die ihm geblieben waren, jede Glaubwürdigkeit.

Pinochet war ein grausamer Herrscher ohne moralische Skrupel. Als Persönlichkeit fehlte ihm jedes Format. Zuweilen hatte er Anflüge von Größenwahn. Pinochet wird in die Geschichte eingehen als ein Schurke, der seinem Land schweren Schaden zugefügt hat."

Die Pariser "Libération" meint, mit Pinochet sei "ein Symbol für das Böse" gestorben:

"Es ist nicht übertrieben festzustellen, dass Pinochet seit vier Jahrzehnten ein Symbol für das Böse darstellt. Die Erinnerung an die Gefangenen vom Stadion in Santiago, an die Verschollenen, an die Folter der Ära Pinochet wird nicht mit ihm verschwinden. Sein natürlicher Tod wird uns nicht nachsichtiger stimmen. Er ruft nur Bedauern darüber hervor, dass dieser Mann, der niemals auch nur die geringste Reue für die in seinem Namen begangenen Verbrechen geäußert hat, nicht vor ein Gericht gestellt wurde. (...) Dass Chile heute von Michelle Bachelet regiert wird, einer Sozialistin und Tochter eines der Opfer von Pinochet (...) ist eine letzte Revanche gegenüber dem Diktator."

Die konservative britische Zeitung "The Daily Telegraph" schreibt, immerhin habe Pinochet Chile vor dem Kommunismus gerettet:

"Jedes Urteil über Pinochet muss die Herrschaft seines Vorgängers mit berücksichtigen, des Präsidenten Salvador Allende, der 1970 als erster Kommunist der Welt durch demokratische Wahlen an die Macht gekommen war. Allendes Programm der Nationalisierung der Produktionsmittel und der Enteignung ausländischen Besitzes an Industrien, Banken sowie Grund und Boden brachte wirtschaftliches Chaos. (...) Nach Ansicht der Anhänger Pinochets war ein Staatsstreich die einzige Möglichkeit, Chile davon abzuhalten, ein zweites Kuba zu werden."

Die Mailänder Zeitung "Corriere della Sera" hofft nach dem Tode Pinochets auf bessere Zeiten für Chile nach dem Motto: "Wenn der Sarg zu ist, wird alles leichter."

"Wer einen Blick auf die politische Karte Lateinamerikas in den 70er Jahren wirft, der stellt fest, dass damals fast alle Regimes autoritär waren und dass die Generäle, auch wenn sie nicht direkt die Macht ausübten, von den Kasernen aus die Lage überwachten und keine Gelegenheit ausließen, um die Regierungen zur Ordnung zu rufen. Aber Augusto Ugarte y Pinochet, der ab 1973 Präsident von Chile war, wurde sogleich für den größten Teil der westlichen Demokratien der schlimmste der Tyrannen (...), der verabscheuungswürdigste Mann der südlichen Hemisphäre. Und die Anklageliste war lang. (...)

Aber zwischen einem lebenden und einem toten Tyrannen gibt es einen wesentlichen Unterschied. Der Lebende muss kritisiert und bekämpft werden. Der Tote muss in den historischen Kontext eingeordnet und, soweit dies möglich ist, erklärt werden. (...) Wenn der Sarg einmal zu ist, wird vielleicht alles leichter. Aber es werden die Chilenen sein, und nicht wir, die das letzte Kapitel dieser lateinamerikanischen Geschichte schreiben werden."

Die linksliberale britische Zeitung "The Guardian" weist auf die bewiesene Korruption Pinochets hin:

"Anhänger Pinochets glaubten lange Zeit, das Verfahren gegen ihn sei eine politische Verschwörung in einem undankbaren Land gewesen. Ihre Desillusionierung begann erst, als im Zuge des Krieges gegen den Terrorismus eher zufällig bei der Überprüfung verdächtiger geheimer Konten Pinochets Korruption offenbar wurde. Der angeblich so aufrechte Soldat hatte nach Schätzung eines Richters rund 28 Millionen Dollar beiseite geschafft. Wie Al Capone wurde Pinochet schließlich vom Steuerfahnder zur Rechenschaft gezogen. Am Ende hatte er nur noch eine Hand voll Anhänger. Er lebte lange genug, um noch mitzubekommen, wie Chile zur Normalität zurückkehrte und wie die Tochter eines Mannes, der unter seiner Herrschaft zu Tode gefoltert worden war, zur Präsidentin gewählt wurde."

Die "Basler Zeitung" glaubt, dass mit Pinochet die "Epoche der Extreme" ihr Ende nähme:

"Jetzt sorgt von Caracas aus der Venezolaner Hugo Chávez für ein Modell, das sich zwischen den beiden Erbschaften einpendelt und über ganz Lateinamerika ausbreitet. Was der exzentrische Caudillo großspurig als 'Sozialismus des 21. Jahrhunderts' verkündet, ist ein Modell, das trotz der schrillen Rhetorik auf die Extreme eines Castro oder eines Pinochet verzichtet. Im Prinzip ist es eine Kulturrevolution, die zur Machtübernahme jener führte, die von kleinen herrschenden Eliten ewig ausgegrenzt und um ihren Anteil an den Bodenschätzen geprellt worden sind: die Indigenen, die Farbigen, die sozial Schwachen, die Frauen. Die Epoche der Extreme in Lateinamerika scheint mit Pinochet und Castro zu verschwinden."