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Presseschau von Montag, 28.Oktober

von Christina Pannhausen28. Oktober 2002

Geiseldrama in Moskau

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Die gewaltsame Beendigung des Geiseldramas in Moskau und die drohenden Folgen für den Konflikt in Tschetschenien beschäftigen an diesem Montag die Kommentatoren der deutschen Tagespresse.

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG schreibt zur Vorgehensweise der russischen Führung:

"Rußland hat sich nicht gebeugt. Rußland hat gezeigt, so sagt Putin, daß man es nicht in die Knie zwingen könne. Doch in die Erleichterung über die Rettung Hunderter Geiseln mischt sich ein bitterer Beigeschmack. Mehr als hundert Unschuldige sind bei dem Gaseinsatz in Moskau ums Leben gekommen; die Zahl wird vermutlich weiter steigen. Das Verhalten der russischen Führung nährt auf tragische Weise den Verdacht, daß die Staatsräson über dem Erhalt des Lebens der Bürger steht. Es ist die bittere Erfahrung des Zynismus der Mächtigen: Ein Menschenleben ist in Rußland nichts wert."

Die Zeitung "DIE WELT" sieht das Vorgehen der russischen Führung in einem weitaus positiveren Licht:

"Vladimir Putin stand vor dem Dilemma, zu verhandeln - und womöglich am Ende mit leeren Händen und 800 Toten dazustehen; oder zu handeln - und ebenfalls das Leben der Geiseln zu riskieren. Er hat unter enormem Zeitdruck gehandelt - und richtig gehandelt. Mit den Opferzahlen wächst zwar die Kritik. Doch hat Manöverkritik aus dem Lehnsessel etwas Wohlfeiles. Die Kidnapper waren erklärtermaßen zum Sterben nach Moskau gekommen. Das muss nach dem 11. September ohnehin bei islamistischen Terroristen immer in Rechnung gestellt werden und steigert den Entscheidungsdruck ins Unerträgliche."

Die 'taz' aus Berlin nimmt das Geiseldrama zum Anlass, den Führungsstil des russischen Präsidenten zu beleuchten:

"Als politische Figur ist Stärke für Putin das Wichtigste. Ungeachtet des offensichtlichen Misserfolgs seines Tschetschenienfeldzugs und der gesamten Sicherheitspolitik gelingt es dem Präsidenten und seinen Medienberatern, das Image des «starken Mannes» aufrechtzuerhalten. Dabei ist Putins Sicherheitsstaat bestenfalls virtuell. In der Realität - das hat die Moskauer Geiselnahme deutlichst gezeigt - können sich Terroristen in Russland frei bewegen. Wenn der Präsident auch weiterhin selbst an der Spirale von Gewalt und Gegengewalt dreht, dann könnten die Terroristen nächstes Mal auch den Kreml besetzen."

Die THÜRINGER ALLGEMEINE aus Erfurt richtet den Blick auf den anhaltenden Konflikt in Tschetschenien:

"Es wird keine Lösung geben, wenn man den Konflikt allein russischen Politikern und Militärs auf der einen Seite, sowie den Extremisten auf der anderen überlässt. Nur eines führt aus der Sackgasse des Hasses: Tschetschenien muss in Russland verbleiben, aber zugleich internationales Mandatsgebiet werden. Nicht der Nato, sondern der OSZE. Erst dann wird es möglich sein, die zivile Bevölkerung zu schützen und so etwas wie ein ziviles Leben wieder aufzubauen. Aber das geht nur mit der Garantie und der Hilfe von außen. Das wird auf den Widerstand Moskaus gleichermaßen stoßen, wie auf den der Islamisten. Auch der Westen wird sich gern drücken wollen. Doch wenn man den Kampf gegen den Terrorismus ernst meint, gibt es keinen anderen Weg. Je schneller man ihn einschlägt, um so weniger Opfer wird es kosten."

Auch die Zeitung "B.Z." aus Berlin sieht die Lösung des Konfliktes nicht in der Unabhängigkeit:

"Der Tschetschenien-Krieg ist wieder ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit geraten. Gute Ratschläge in Moskau gibt es viele. Einer ist, die Tschetschenen in die vollständige Unabhängigkeit zu entlassen. Doch was wäre damit wirklich gewonnen? Ein weiterer Staat würde entstehen, in dem unter Berufung auf den Koran der islamistische Fundamentalismus eine neue Basis hätte."

Abschließend zitieren wir zu diesem Thema die Analyse des HANDELSBLATTs:

"Die Auseinandersetzung in Tschetschenien ist ein zutiefst politischer Konflikt, der sich auch mit politischen Instrumenten lösen lassen könnte. Wenn man denn will. Dem Westen hat das Geiseldrama deutlich gemacht, welche schwer wiegenden Fehler er begangen hat. Dies gilt insbesondere, als Moskaus Mittun in der Anti-Terror-Allianz jede Kritik am russischen Vorgehen im Kaukasus verstummen ließ. Es war ein fatales Signal. Putin ist zu wünschen, dass er jetzt für einen Augenblick innehält. Und dass er auf sein Volk hört. Denn glaubt man den Umfragen, dann hat das von dem Krieg inzwischen mehr als genug. Es sinnt nicht auf Rache. Es will nur ein Ende des Sterbens."