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Presseschau von Donnerstag, 23. Januar 2003

Gerd Winkelmann 23. Januar 2003

Irak im Wahlkampf / Deutsche und Franzosen in Versailles

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Historisches galt es zu feiern in den Hallen zu Versailles: 40 Jahre deutsch-französische Freundschaft und ihre für Europa nützliche Fortschreibung in die Zukunft. Allein der mögliche Irak-Krieg und Deutschlands unverhohlene Distanz überlagern in den Kommentaren der deutschen Tagespresse an diesem Donnerstag jeden Pomp und Glanz:

So schreibt etwa die WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE in Essen:

'Der Kanzler bläst zum letzten Gefecht. Und setzt alles auf eine, die letzte Karte: Deutschland werde im UN-Sicherheitsrat nicht für einen Krieg gegen den Irak stimmen. Schröder hat sich auf einer Parteiveranstaltung der SPD in Goslar festgelegt. Zu einer Zeit, da das nicht geboten war. Das riecht nicht nur nach Wahlkampf, das ist Wahlkampf. In Niedersachsen wird am 2. Februar gewählt. Und die SPD
und Amtsinhaber Sigmar Gabriel haben schlechte Karten. In allen Umfragen liegt die CDU meilenweit vor der allein regierenden SPD. Die Irak-Frage soll es richten, wie damals vor der Bundestagswahl.'

Die Tageszeitung DIE WELT sieht's nicht weniger kritisch:

'In Goslar hat der Kanzler ein deutsches Ja zu einem Krieg gegen den Irak ausgeschlossen. Es gibt Argumente, auch gute, gegen diesen Krieg. Aber wer möchte sie einem Politiker abnehmen, der seine Festlegungen nicht vor dem Parlament verkündet und nicht in internationalen Gremien, sondern beim Versuch, letzte Reserven für die Partei zu mobilisieren? Der die Sicherheitspolitik und das Bündnis dem Wahlkampf unterordnet? Schröder rief schon in der
Nachrüstungsdebatte zum Widerstand gegen das Vormachtstreben' der USA auf. Ein überzeugter Antiamerikaner war er damals jedoch nicht, sondern ein Hinterbänkler, der sich mit linken Positionen profilierte. Seine Politik, die auf jede Drohung verzichtet, hätte nicht einmal die Inspektionen im Irak möglich gemacht. Und
wahrscheinlich taugt sie, nach den vielen Widersprüchen, nicht einmal mehr für eine Wende im Wahlkampf.'

Ganz anders die FRANKFURTER RUNDSCHAU:

'Nein Schröder hat, Wahlkampf oder nicht, das Richtige gesagt, als er ein Ja ausschloss. Die gefährlich martialische Politik von George W. Bush, angetrieben von den Einflüsterungen seiner Öl-Strategen und ausgestattet mit einer irrationalen Rache-Rhetorik, schließt die Zustimmung zu einem Feldzug derzeit für jeden aus, der Krieg wirklich für das allerletzte Mittel hält und das leidliche Funktionieren des Überwachungs-Regimes halbwegs objektiv einschätzt.'

Zurück nach Versailles. Die SAARBRÜCKER ZEITUNG fragt nach den Folgen deutsch-französischer Festakte:

'Und heute? Man hat angesichts der Fülle von Vereinbarungen, die soeben zwischen Berlin und Paris getroffen wurden, den Eindruck von erotischer Atemlosigkeit: Da haben sich zwei über Nacht entdeckt - und scheinen nicht genug voneinander kriegen zu können: Der deutsche Kanzler, der einen starken Verbündeten braucht, um George W. Bush weiter die Stirn zu bieten. Und der französische Präsident, der Morgenluft wittert, eine neue führende Rolle im deutsch-französischen Tandem - und damit im zusammenwachsenden Europa - zu spielen.'

Zum selben Thema hier noch ein Blick in die LEIPZIGER VOLKSZEITUNG:

'Frankreichs Linie erscheint noch immer als die überzeugendere. Aber das sind Korinthen-Argumente im Vergleich zum großen Ziel, eine Politik der Vernunft zu betreiben. Am 40. Jahrestag des Elysée-Vertrages ist dieser Parallel-Klang vermutlich wichtiger als die würdevollen Massen-Freundschafts-Treffen von Versailles und
Berlin. Die 'Erfolgsgeschichte', von der der Kanzler in seiner Bilanz der bi-nationalen Zusammenarbeit gestern sprach, lebte und lebt in Wahrheit viel aus der Tradition und Gewohnheit und manchmal auch nur von der Schwulst großer Worte. Aber seine praktische Bedeutung, Motor für eine gesunde Politik des europäischen Selbstbewusstsein zu sein,
findet der deutsch-französische Vertrag mit der gemeinsamen Feststellung: Ein Irak-Krieg sei derzeit durch nichts gerechtfertigt.'