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Presseschau: "Massaker von Bombay"

Thomas Bärthlein13. Juli 2006

Die indische Presse ist stolz auf das Verhalten der Bewohner von Bombay - und kritisiert die Regierung, die Polizei und Pakistan scharf.

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Die Berichterstattung wird dominiert durch die Bilder und Live-Berichte der zahlreichen privaten Nachrichten-TV-Kanäle, die es in Indien inzwischen in allen Sprachen gibt. Nach dem Muster von CNN legen sie größten Wert auf aktuelle, zum Teil drastische Bilder, viele Live-Schalten und Augenzeugen-Interviews. Es gab auch Kritik an den Sendern: Die Polizei habe es nicht geschafft, Fernsehteams von den Anschlags-Orten festzuhalten, so dass eventuell sogar Beweismittel hätten zerstört werden können.

Mittlerweile zeigen die TV-Sender zwei Tage nach den Anschlägen immer noch viele Bilder von Verletzten. Sie fordern dazu auf, dem Sender eine SMS zu schicken, wenn man unbekannte, bewusstlose Patienten identifiziert hat. Zahlreiche Angehörige suchen immer noch ihre verletzten Familien-Mitglieder in den Krankenhäusern der Stadt. Daneben wird über die Ermittlungen der Polizei berichtet, und es gibt Äußerungen von Prominenten, etwa Cricket-Stars: Bombayer stehen zusammen in dieser schwierigen Stunde.

Tapfere Bevölkerung

Viele Kommentatoren verweisen darauf, dass die Menschen tapfer reagiert hätten, indem sie weitgehend ruhig zum Alltag übergegangen sind und betonen, sich nicht unterkriegen zu lassen. Die Zeitung The Hindu weist darauf hin:

"Keine andere Metropole der Welt hat mit Bombenserien in dem Ausmaß zu tun gehabt wie Bombay in den letzten eineinhalb Jahrzehnten. (..) Und doch haben wenige Städte irgendwo sich so außergewöhnlich standhaft und unverwüstlich gezeigt wie die Menschen in Bombay in den Minuten und Stunden nach den letzten Anschlägen."

Immer wieder greifen die Medien auf, dass die Zeitschrift Reader’s Digest in einer im aktuellen Juli-Heft veröffentlichten Untersuchung herausgefunden haben will, dass Bombay die "unhöflichste" von 35 Städten weltweit sei. Da wurden so Banalitäten abgefragt wie: Bedanken sich Verkäufer nach dem Einkauf beim Kunden? Ein Leserbrief-Schreiber in The Hindu merkt dazu an:

"Während wir die Anschlagsserie verurteilen, sind wir stolz auf die Mumbaikars (also die Bombayer), die ohne Rücksicht auf alle Unterschiede in einer widrigen Lage zusammenstehen. Sie haben das Etikett der "unhöflichen Stadt" Lügen gestraft. Niemand soll eine Stadt mit Blick auf alltägliche Kleinigkeiten beurteilen!"

Suche nach den Schuldigen

Die Medien lehnen sich weiter aus dem Fenster als die Regierung, die ja noch sehr vorsichtig ist. So wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Art des verwendeten Sprengstoffs auf Lashkar-e-Tayyaba hindeuet, eine islamistische Terrorgruppe mit Basis in Pakistan, die vor allem in Kaschmir aktiv ist. Neben dieser Kaschmir-Connection werden aber auch indische islamistische Gruppierungen immer wieder genannt, bis hin zu einer Verstrickung des Bombayer Mafia-Bosses Dawood Ibrahim, dem enge Verbindungen zum islamistischen Milieu nachgesagt werden.

Belastung für die Beziehungen zu Pakistan

Während die indische Regierung betont, dass der Friedensprozess mit Pakistan unbeeinträchtigt von den Anschlägen weitergehen soll, sind in den Zeitungen deutlich kritischere Stimmen zu lesen. DieTimes of India schreibt.

"Islamabad muss gesagt bekommen: Wenn schreckliche Anschläge wie am 11. Juli weitergehen, wäre das eine unerträgliche Belastung für den Friedensprozess. Neu Delhi muss wie Kabul darauf bestehen, dass Islamabad Ernst macht und einige deutliche Zeichen setzt, also Terror-Gruppen dichtmacht, die auf pakistanischem Gebiet operieren, ihre Ausbildungscamps schließt und ihre Anführer verhaftet."

Die Regierung in der Kritik

Die Regierung will natürlich jetzt die Sicherheitsvorkehrungen verstärken, man spricht etwa über Überwachungskameras auf Bahnhöfen. In den Medien gibt es häufig Kritik an der Effizienz der Geheimdienste, die im internationalen Vergleich auch schlecht ausgerüstet seien.

Doch es gibt auch fundamentale Bedenken gegenüber der Anti-Terror-Politik der Regierung, vor allem von den konservativen Blättern. Die eher rechtsgerichtete Zeitung The Pioneer spricht in ihrem Leitartikel von einer "erstaunlich weichen Antwort der Regierung auf das "Massaker in Bombay". Weiter heißt es dort:

"Es ist überflüssig, dass der Premierminister die Leute an ihre ‚Standhaftigkeit’ und ‚Entschlossenheit’ erinnert… Was wir brauchen, ist eine Demonstration der Entschlossenheit von denen, die behaupten, uns zu regieren."

Die Zeitung fordert eine Wieder-Einführung der drakonischen Anti-Terror-Gesetze, von der jetzigen eher linken Regierung beim Amtsantritt abgeschafft wurde. Auch die Kaschmir-Politik Manmohan Singhs wird angegriffen. Der Premierminister setzt auf Verhandlungen auch mit den separatistischen Gruppen. Dazu heißt es im Pioneer:

"Singh, der im letzten Jahr in Washington noch furchtlos tönte, er werde eine Null-Toleranz-Politik gegen den Terrorismus fahren, er und seine Berater reichen den politischen Herren der Mörder die Hand und verhätscheln sie, indem sie das initiieren, was grandios als ‚Runder Tisch’ beschrieben wird."

Internationale Reaktionen

Die Solidarität etwa von US-Präsident Bush wird wahrgenommen, aber man beklagt auch, dass der Westen mit zweierlei Maß messe. The Telegraph schreibt dazu:

"Eigenartig: Dass Indien so verwundbar durch den Terrorismus ist, scheint seine Freunde im Westen nur selten aus der Ruhe zu bringen. Die ausführlichen Berichte über den Jahrestag der Anschläge von London erinnern daran, dass jene tragischen Ereignisse wie eine Totenglocke für die zivilisierte Welt wahrgenommen wurden. Irgendwie haben die unschuldigen Toten in Indien nicht die gleiche Wirkung."