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Politik

Presseschau: Demokratie ist stärker als Dschihad

19. August 2017

Ist der Kampf gegen islamistischen Terror überhaupt zu gewinnen? Über die Mittel sind sich viele internationale Kommentatoren weitgehend einig. Klar scheint aber auch: Der Kampf gegen den Dschihad wird lange dauern.

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Barcelona Terror Zeitungen Presseschau
Bild: Getty Images/AFP/G. Bouys

Nach der Trauer um Tote und Verletzte hat in Barcelona die politische Debatte über die Folgen des Anschlags begonnen. Für demokratische Staaten sind Anschläge wie dieser eine enorme Herausforderung, schreibt die spanische Tageszeitung El País. "Der willkürliche Charakter dieser Angriffe und der enorme Blutzoll erwecken den Eindruck, dass die Sicherheit in Europa enorm abgenommen hat." Gerade an Tagen wie jenen, die Spanien derzeit durchlebt, helfe es aber, sich an den Kampf des spanischen Rechtsstaats gegen die baskische Terrororganisation ETA zu erinnern. "Diese Erinnerung könnte die Überzeugung wachhalten, dass trotz der erheblichen Schwierigkeiten dieses Kampfes die Stärke der Demokratie letztlich auch den dschihadistischen Terror besiegen wird."

Allerdings stellt sich die Frage, auf welche Mittel Demokratien setzen sollten, um des Terrors langfristig Herr zu werden. Polizeiliche Ermittlungen und Aufklärungsarbeit allein würden langfristig nicht reichen, fürchtet die Zeitung El Mundo. "Es muss darum gehen, Muslime in die demokratische Kultur zu integrieren. Das dürfte auch möglich sein, weil die große Mehrheit sich integrieren will." Es bleibe aber ein Problem: "Die muslimische Gemeinschaft hat nach wie vor kein europäisches Führungspersonal, das hier ausgebildet wurde, die Muslime hier vertritt und im Kampf gegen den Terror engagiert ist." Es sei an der Zeit, eine solche Führung zu etablieren, schreibt El Mundo. Aber: "Das ist eine Aufgabe, die Spanien nicht allein erfüllen kann.  Sicherheit, Aufklärung, Polizeiarbeit wie auch die Einbindung der Muslime in die demokratischen Gewohnheiten – das ist eine Aufgabe, die für die gesamte Europäische Union von entscheidender Bedeutung ist."

"Unsere Feinde sind die Intoleranten"

Konzentrieren müsse sich die spanische und die europäische Gesellschaft nun aber vor allem auf ihre Feinde, meint die spanische Zeitung La Vanguardia. "Unsere Feinde sind die Intoleranten, die eine fundamentalistische Lesart des Korans propagieren und in den sozialen Medien erbärmliche Nachrichten verbreiten. Der Drang, andere zu verletzen, zeigt, wie gering das moralische Niveau der Autoren ist. Vor ihnen muss man Angst haben. Und man muss sie bekämpfen."

Spanien nach den Terroranschlag
Spaniens Premier Mariano Rajoy (Mitte links) und König Felipe (Mitte) auf einer Demonstration in BarcelonaBild: picture alliance/AP Photo/M. Fernandez

Wer wurde in Barcelona eigentlich attackiert, fragt die italienische Zeitung Corriere della Sera. Die Spanier? Nicht unbedingt. Im Fokus stand dieses Mal eine andere Gruppe: "Touristen, die mit einem billigen Flugticket nach Barcelona reisen, werden von Terroristen attackiert, die als Waffe nicht mehr als einen billigen Lieferwagen mieten müssen. Dieser 'Billigterrorismus' basiert auf dem Prinzip des Mietwagens, diesem triumphalen Ausdruck der Globalisierung, dem Symbol eines säkularisierten, auf Konsum ausgerichteten Kosmopolitismus, der Freiheit, innerhalb weniger Stunden an Orte zu reisen, wo man sich mit anderen zum Feiern und Amüsieren trifft."

Der Weg der Terroristen von Barcelona habe sich mit dem der Touristen auf das engste gekreuzt. Sie hätten am Leben der Feiernden sogar teilgenommen ,schreibt der Corriere della Sera. Dann aber hätten sie sich, womöglich aus Frust, entschieden, die Touristen anzugreifen. "Angesichts ihrer Taten kommt einem der Satz des französischen Terrorexperten Olivier Roy in den Sinn:  "Diese jungen Männer stehen nicht für einen sich radikalisierenden Islam. Im Gegenteil: Es sind junge Radikale, die sich islamisieren."

Uralte Mythen

Für die Radikalisierung nähmen die Attentäter bereitwillig alle Ideologien auf, die helfen, ihrem Zorn ein weltanschauliches Fundament unter zu schieben und ihn zugleich zu steigern, vermutet die österreichische Zeitung Der Standard. Uralte Mythen würden für die Umsetzung radikaler Energien wiederbelebt. "Ganz generell nimmt Spanien eine Schlüsselrolle in der islamistischen Weltanschauung ein: Für Al-Kaida und auch den 'Islamischen Staat' ist das Land auf der Iberischen Halbinsel nach wie vor 'Al-Andalus' – das von 711 bis 1492 muslimisch beherrschte und dann von Christen besetzte Land des goldenen Zeitalters des Islam."

Am Tag nach dem Terroranschlag in Barcelona
Vereint gegen Terroristen: Tausende versammeln sich auf dem Boulevard Las Ramblas, um der Opfer zu gedenkenBild: picture alliance / ZUMAPRESS.com

Wie hoch ist der Preis der Freiheit?

Wie geht man damit um, fragt die New York Times. Wie können sich offene Gesellschaften, die auf Toleranz und Freiheit setzten, gegen die dschihadistische Bedrohung wehren? "Sollten wir die Plätze, an denen Menschen  sich treffen, physisch absichern, wodurch sie gerade ihre Zwanglosigkeit und Offenheit verlieren, dank derer Promenaden wie die Ramblas so beliebt sind? Sollten wir Regierungen mit außergewöhnlichen Befugnissen zur Überwachung, Untersuchung und Abwehr von Migranten ausstatten? Sollten wir die Bedrohung als Preis unserer Freiheit akzeptieren?

Die New York Times bleibt ratlos, erkennt aber in der Rede des spanischen Premiers Mariano Rajoy einige wegweisende Elemente: Institutionelle Einheit, polizeiliche Zusammenarbeit und die entschiedene Entschlossenheit, Demokratie, Freiheit und Menschenrechte zu verteidigen: das sei der Weg, um Dschihadismus zu bekämpfen.

Es brauche eine kulturelle Auseinandersetzung, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Darin liegt die Aufgabe: Moscheen zuzulassen, die im Rahmen unserer Gesetze agieren, die aber nicht staatlich gesteuert sind und einen Wunschislam hervorbringen sollen. Denn der erreicht keine Gefährder. Deren Zahl wächst. Der Krieg gegen den islamistischen Terror hat in Europa erst begonnen."

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika