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Pardon des Premiers

12. Juni 2008

Bis in die 1990er Jahre wurden in Kanada Kinder von Ureinwohnern zwangsweise in christliche Internate gesteckt. Premier Stephen Harper hat sich jetzt dafür entschuldigt. Nun soll die Versöhnung folgen.

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Kanadas Premier Harper hält sich Hände vor die weinenden Augen
Tränen in den Augen: Stephen Harper bei seiner EntschuldigungsredeBild: AP

Nach den australischen Ureinwohnern, den Aborigines, haben nun auch die Ureinwohner Kanadas - die Indianer, Inuit und die Meti - von ihrer Regierung ein 'Sorry' ob des ihnen zugefügten Leids und Unrechts gehört. Premier Stephen Harper sagte in seiner Rede im Parlament am Mittwoch (11.06.2008), das Geschehene sei ein trauriger Abschnitt in der kanadischen Geschichte. Regierung und Behörden hätten versagt. Das bisherige Ausbleiben einer Entschuldigung, so Harper, habe Heilung und Versöhnung behindert. Und, die Zwangsumerziehung habe dauerhafte negative Auswirkungen auf die Kultur und das Erbe der Ureinwohner gehabt.

Ein Leben lang gewartet

Seit 1874 und bis weit in die neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts wurden insgesamt rund 150.000 Ureinwohner-Kinder zwangsweise aus ihren Elternhäusern geholt und in die etwa 132 staatlichen christlichen Internate gesteckt. Viele von ihnen wurden dort erniedrigt und misshandelt.

Willie Blackwater war nach eigenen Angaben zehn Jahre alt, als er aus dem Schlafsaal vom Aufseher ans Telefon geholte wurde. Dieser behauptete, sein Vater wolle ihn sprechen. Das sei jedoch nur ein Vorwand für den Erzieher gewesen, ihn, den jungen Ureinwohner, in einem abgelegenen Schlafzimmer zu erniedrigen und zu vergewaltigen. Blackwater, der am Mittwoch mit weiteren Betroffenen im Parlament saß, sagte, er habe auf diesen Augenblick der offiziellen Entschuldigung lange gewartet.

Phil Fontaine, Sprecher der Indianer Kanadas mit Kopfschmuck
Phil Fontaine im ParlamentBild: AP

Der Chef der Ureinwohner, Phil Fontaine, gekleidet in seine traditionelle Tracht mit Federschmuck, betonte, die Behörden hätten in den Umerziehungs-Internaten "den Indianer in den Kindern töten wollen". Die damalige Politik sei Hauptursache für die sozialen Probleme, mit denen die etwa eine Million Ureinwohner heute zu kämpfen hätten.

Der Entschuldigung soll die Versöhnung folgen

Von den Betroffenen leben heute noch etwa 80.000. Vor zehn Jahren hatte die Regierung bereits eingestanden, dass Misshandlungen in den Internaten weit verbreitet waren. Viele ehemalige Schüler berichteten, sie seien geschlagen worden, wenn sie in ihrer Muttersprache redeten. Dass sie häufig hungerten und mit der Zeit den Kontakt zu ihren Eltern und ihrer Kultur verloren.

Bis 1960 durften die Ureinwohner nicht wählen. Erst 1998 bedauerte die damalige Ministerin für indianische Angelegenheiten, Jane Stewart, die Einrichtung der Internate, aber sie entschuldigte sich nicht für zugefügtes Leid. Eine Wahrheits- und Versöhnungskommission soll nun die damaligen Vorkommnisse prüfen und Aussagen der noch lebenden Betroffenen anhören.

Eine finanzielle Wiedergutmachung haben die 80.000 Betroffenen bereits zugesprochen bekommen. Nachdem der Oberste Gerichtshof des Landes 2005 entschied, dass Staat und Kirchen für die psychischen, physischen und sexuellen Misshandlungen verantwortlich waren, willigte die Regierung in eine Zahlung von zwei Milliarden Dollar Entschädigung ein.

Kanada geht weiter als Australien

Die Rede Harpers war deutlich länger als die Abbitte seines australischen Amtskollegen Kevin Rudd. Dieser hatte sich im Februar im Parlament in vier Minuten für die jahrzehntelange Diskriminierung der Aborigines entschuldigt. Eine finanzielle Wiedergutmachung lehnt Australien ab. (hy)