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Preisverleihung beim Filmfestival Locarno

28. September 2001

Das 54. Filmfestival in Locarno endete mit einem Eklat. Als die Entscheidung des Gewinners bekannt gegeben wurde, hagelte es Buhrufe.

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Bild: AP
 

Als die Entscheidung des Gewinners des Goldenen Leoparden bekannt gegeben wurde, hagelte es von den Kritikern Buhrufe. Viele einte die Ansicht, dass der italienische Beitrag "Alla rivoluzione sulla 2CV" ("Zur Revolution im Deux-Chevaux") von Maurizio Sciarra des ersten Preises nicht würdig sei. In der Kritikergunst ganz oben stand der iranische Film "Delbaran" von Abolfazl Jalili, der "nur" den Spezialpreis der Jury für die Verständigung zwischen Völkern und Kulturen bekam. Gekürt wurde in Locarno auch ein deutsch-amerikanischer Beitrag: Den Silbernen Leopard für die Kategorie "Neuer Film" erhielt "Love the Hard Way" von Peter Sehr.

Den zweiten Silbernen Leoparden neben Peter Sehr bekam der französische Filmemacher Alain Gomis für "L'Afrance". Bronzene Leoparden vergab die Festival-Jury darüber hinaus an die Schauspielerin Kim Ho Hung für ihre Rolle in dem koreanischen Film "Butterfly" und an Andoni Garcia, dem Darsteller in "Zur Revolution im Deux-Chevaux". Auf der Pressekonferenz hatten sich die französische Regisseurin Emilie Deleuze und die italienische Schauspielerin Laura Morante offen von der Mehrheitsentscheidung der Jury für den Siegerfilm distanziert, worauf Jurymitglied Debra Winger den Saal verließ. Winger erklärte, sie habe das erste und wohl auch  letzte Mal an einer Festival-Jury teilgenommen.

Mit einer hochkarätigen, mit sieben Frauen - darunter die Kritikerin der New York Times Janet Maslin - besetzten Jury, der als einziger Mann der Filmemacher Antonio Skármeta angehörte, hatte die neue Festivaldirektorin Irene Bignardi einen Akzent gesetzt.

Der umstrittene Gewinnerfilm des 46-jährigen Regisseurs Maurizio Sciarra ist ein unterhaltsames Road-Movie. Es erzählt mit Witz wie drei Jugendliche 1974, zur Zeit der italienischen Roten-Brigarde-Terroristen, mit einer Ente quer durch Europa fahren. Ihre Reise markiert einen Reifeprozess: Konfrontiert mit den Ereignissen der demokratischen, so genannten Nelkenrevolution in Lissabon, erfahren die drei jungen Europäer ihr Erwachsenwerden. Hielten Befürworter des Films die universale Botschaft hoch, kritisierten Gegner, es hätte künstlerisch weitaus gehaltvollere Filme gegeben. Sciarra teilt sich den mit umgerechnet 51.000 Mark dotierten Preis mit seinen zwei Produzentinnen Rosanne Seregni und Monica Venturi.

100 Filme wurden am diesjährigen Filmfestival in Locarno bis zum 12. August gezeigt, davon 16 auf der Grande Piazza und 19 aus 12 Ländern im internationalen Wettbewerb. Unter den Wettbewerbsfilmen waren diesmal 9 Erstlingswerke, darunter der starken Eindruck hinterlassende und geheimnisvolle Film "Conjugation" der Chinesin Tang Xiaobai, die als eine der Entdeckungen des Festivals gilt. Sie untersucht die "tiefen Wunden, die das Massaker auf dem Pekinger Platz des Himmlischen Friedens im Sommer 1989 geschlagen hat".

Neben drei italienischen und drei französischen gingen zwei schweizer Beiträge ins Rennen. In "Happiness is a warm gun" inszenierte Thomas Imbach die tragische Liebesgeschichte zwischen Petra Kelly, Vorsitzende der Grünen-Partei in den 80er Jahren, und Gerd Bastian, Ex-General und politischer Weggefährte Kellys.

Eine Liebesgeschichte ganz anderer Art erzählt der deutsch-amerikanische Preisträger "Love the Hard Way" von Peter Sehr. Vorgestellt werden die verschiedenen sozialen Milieus der Metropole New York, die auch die so gegensätzlichen Liebenden charakterisieren: Claire, Studentin einer Elite-Universität, und der Kleinkriminelle Jack. Sehr, der mit "Kasper Hauser" (1994) bekannt wurde, stellt in seinem neuen Werk die Unmöglichkeit der Liebe ins Zentrum.

Immer wieder ein Ereignis ist das allabendliche Freiluftkino auf der Grande Piazza, dem Hauptplatz. Zum Unmut des Publikums hatte sich jedoch der Wettergott dieses Jahr zunächst launisch gezeigt. Die ersten Vorführungen fielen buchstäblich ins Wasser. Nachdem "Final Fantasy" mit seinen komplett digitalisierten Schauspielern einen Hauch der atemberaubenden Möglichkeiten des zukünftigen Kinos vermittelte, kam mit ""Laagan"" von Ashutosh Gowariker gewaltig pathetisches Bollywood-Kino aus Indien auf die Leinwand. In dem fast vierstündigen Epos geht es um ein Dorf im Jahr 1893, das unter der englischen Herrschaft und einer Dürre leidet.

Neben "Planet of the Apes", einer Neuauslegung des Filmklassikers durch Tim Burton, war mit Spannung Peter Bogdanovichs "The Cat's Mellows" erwartet worden, mit dem der Regisseur nach acht Jahren sein Comeback feierte. Ebenfalls in der Reihe "Grande Piazza" war Sandra Nettelbecks Film "Mostly Martha" zu sehen. Martha, gespielt von Martina Gedeck, ist eine Chefköchin in Hamburg, die sich nach dem Tod ihrer Schwester um ihre kleine Nichte kümmern muss. Die sich daraus ergebenden Spannungen lösen sich auf, als ein italienischer Hilfskoch auftaucht.

Das Festival in Locarno platzte dieses Jahr aus allen Nähten. Obwohl das Programm in den vielen Nebenreihen, wie "Out of the Shadows: Asians in American Cinema" oder der 50 Filme umfassenden Kurzfilm-Retrospektive ein hervorragendes Angebot bot, müssen sich die Festivalorganisatoren schon im nächsten Jahr ernsthaft mit dem Platzproblem beschäftigen.